Von Dave Tarassow
Im Westen der Stadt Leipzig befindet sich seit 72 Jahren der Lindenauer Hafen. Ein Hafen, dessen Bau im Jahre 1943 eingestellt werden musste, aus Kriegsgründen. Danach wurde mehrmals versucht, die Bauarbeiten fortzusetzen. Doch sie wurden nicht aufgenommen. Auch den Wasseranschluss gab es bis dieses Jahr nicht. Also ein Hafen, bei dem nie ein Hafenbetrieb stattfand und bis Juni 2015 der einzige Hafen Deutschlands ohne Wasseranschluss war. Der Titel ist nun weg.
Bereits Otto der Reiche von Meißen, der Leipzig im Jahre 1165 das Stadt- und Messerecht verlieh, war für eine Wasseranbindung an die Saale. Die Messestadt lag zwar an den zwei weltbedeutenden Handelswegen via regia und via imperii, doch wegen des fehlenden Anschlusses an Flüsse und Meere, war sie als Wirtschaftsstandort auch teuer. Mehrere Personen, wie zuletzt der sächsische König Friedrich August III.,versuchte1799 die Planung einer Wasserverbindung zwischen Leipzig und Saale und Unstrutzu starten. Die Napoleonischen Kriege machten 1805 bis 1815 einen Strich durch die Rechnung und das Bauprojekt wurde nicht mehr verfolgt. Dr. Ernst Carl Erdmann Heine, ein großartiger Industriepionier und engagierter Stadtrat, vom Beruf Rechtsanwalt und Unternehmer, brachte die Wasserverbindung wieder ins Spiel und stellte sie in den Fokus der Leipziger Wirtschaftsentwicklung. Die Stadt Leipzig beteiligte sich allerdings finanziell nicht und Karl Heine übernahm allein die Kosten. Heute undenkbar.
Der Plan war nun, einen Kanal – den Elster-Saale-Kanal – zwischen der Weißen Elster über einem großen Umschlaghafen mit der Saale im Raum Halle zu errichten und so an die Weltmeere anzuschließen. Die Bauarbeiten begannen im Jahre 1856 und endeten 1893 nach 2600 Metern vor der Luisenbrücke(Lützner Straße) und 665 Meter vor dem gebauten Hafenbecken. Nördlich des Hafenbeckens (Lyoner Straße)ging der Elster-Saale-Kanal mit einer Länge von 19 Kilometern weiter, der in einem Regierungsabkommen von 1920 „Südflügel des Mittellandkanals“ bezeichnet wird, mit dessen Bauarbeiten 1933 gestartet wurde. Mit einer Breite zwischen 32 und 37 Metern sowie einer Tiefe von 3,5 Metern war der Kanal für den zweischiffigen Betrieb und den damals modernsten 1000 t-Kanalschiffen ausgelegt. Es waren bis zu 2000 Arbeiter im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme auf der Baustelle. Sie galt 1934 als eine der größten im Deutschen Reich.
Bis 1936 gingen die Bauarbeiten voran, der aufrüstungsbedingte Arbeitskräftemangel wurde durch schwere Baumaschinen ausgeglichen, doch durch die beschleunigte Fertigstellung des Mittellandkanals wurden die Arbeiten am Elster-Saale-Kanal immer mehr verringert.Bis 1938 konnten mehrere Stahl-Fachwerk-Straßenbrücken und zwei Straßenunterführungen fertiggestellt werden. Einige Bauwerke, wie ein Sperrtor, wurden auch unvollendet. Da die Saale 10 Meter tiefer als der Elster-Saale-Kanal liegt, musste ein Schleusenbauwerk errichtet werden. Zum Einsatz kam eine Schleusentreppe mit zwei Schleusenbecken, die jeweils eine Länge von 85 Metern, eine Breite von 12 Metern und eine Tiefe von 3 Metern haben sollten. Errichtet wurde nur ein Bauwerk. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs verzögerten sich die Kanalbauarbeiten immer mehr und wurden schließlich 1942 eingestellt. Zu diesem Zeitpunkt hatte man etwa ein dreiviertel der Pläne umgesetzt.
Nach dem Endsieg sollte es weitergehen, doch daraus wurde nichts. 11 von 19 Kilometern wurden fertiggestellt und 1939 geflutet, 5,5 Kilometer sind teilweise ausgeschachtet und enden in der Nähe von Günthersdorf (Sachsen-Anhalt).Die restlichen ca. 2,5 Kilometer (bis Kreypau) müssen noch errichtet werden. Doch in den letzten Jahrzehnten entstand ein Biotop im nicht gefluteten und nicht ausgeschachteten Flussbett. In der DDR gab es Interessierte, das Bauprojekt zu vollenden, doch soweit kam es nicht. Abgesehen von den Geldmitteln. Auch in der heutigen Zeit versuchen mehrere Akteure, darunter die Städte Halle und Leipzig sowie der Wasser-Stadt-Leipzig e.V. und Saale-Elster-Kanal Förderverein e.V., den Ausbau für den Tourismus fortzusetzen. Man erhofft sich jährlich eine halbe Million Nutzer. Wann jedoch der Bau weiter geht und vollendet wird, steht in den Sternen. Angedacht war mal bis 2017/2018. Doch das gesamte Bauprojekt könnte um die 100 Millionen Euro kosten. Dazu mit einem aufwendigen Schiffshebewerk in Wüsteneutzsch.
Auf jeden Fall soll ab 2018 der 75 Meter lange Durchstich zwischen Hafenbecken/Lyoner Straße und Elster-Saale-Kanal erfolgen. Dann ist der Lindenauer Hafen auch von Norden kommend ans Wasser angeschlossen. Und Leipziger können über den geplanten Schiffskanal nach Sachsen-Anhalt paddeln. Umgedreht natürlich auch. Zwischen Lyoner Brücke (nördlich mit Elster-Saale-Kanal) und Luisenbrücke (südlich mit heutigem Karl-Heine-Kanal)liegt der Lindenauer Hafen, der zwischen 1938 und 1943 errichtet wurde. Man kann ihn aus der Straßenbahn sehen, Leute aus ihrer Stube, aber auch Radfahrer blickend aus den Schönauer Lachen. Geplant waren zwei Umschlag-Hafenbecken und zwei Industriehafenbecken. Umgesetzt wurde nur das Umschlagbecken I mit einer Länge von 1000 Metern, einer Breite von 70 Metern und einer Tiefe von 6 Metern, gegenüber sollten das Umschlagbecken II und das Industriehafenbecken III folgen. Vorgesehen war ein jährlicher Güterumschlag von 600.000 Tonnen. 1941 entstanden, als die erste Ausbaustufe zur Hälfte fertig war, mehrere Speicher. Diese nutzte unter anderem die Firma M.R.A. Schneider, die Ölfrüchte einlagerten und Presskuchen aus der Speiseölherstellung verarbeiteten.
1964 wurde ein Teil eines Speichers durch eine Explosion zerstört. Den genauen Grund kennt man bis heute nicht und bis heute ist die Zerstörung auch zu sehen. Davor wurde in den 1970er Jahren ein Stahlgebäude für die Hopfenverarbeitung errichtet, bis 1989 betrieben und später abgerissen. Kriegsbedingt mussten die Bauarbeiten dann 1943 eingestellt werden und wurden bis heute nicht wieder aufgenommen. Die vorhandenen Speicher wurden bis in die 1990er Jahre komplett genutzt. Heute betreibt noch die LeiKra einen Speicher, die eines der führenden Mischfutterhersteller in Sachsen ist.Es gibt vier Speicher entlang der Kaimauer. Das traurige ist aber, wie beim Wasseranschluss, das es auch hier nie einen Hafenbetrieb gab. Straßen und Wege wurden angelegt, Anschlussgleise errichtet (zum damals größten Industriebahnhof Europas), die heute noch teilweise vorhanden sind.
Nie dockte ein Schiff an. Auch seit der Eröffnungim Sommer 2015 nicht. Geplant ist es, den Hafen zu einem Transithafen für die über das europäische Wasserstraßennetz ankommenden Boote zu entwickeln. So sollen drei Speicher zu Hotels und Gastronomie umgebaut werden und ein Bootshaus mit technischer Abteilung eröffnen. An der Kaimauer entstehen Stege für 200 Boote und Schiffe. Der LeiKra-Speicher soll als Gewerbebetrieb erhalten bleiben, damit ein Hafenflair entsteht. Südlich der Speicher entwickelt sich seit 2014 ein neues Stadtquartier.
Eine Erschließungsstraße wurde angelegt – mit Haltestellen und Wendeschleife für den Busverkehr. Mehrere Mehrfamilienhäuser, Stadthäuser und Stadtvillen sowie eine Kita sollen entstehen. Wann genau, verschiebt sich immer. Baustart für Los 1 ist noch für 2015 geplant. Die Museumsfeldbahn, die als Kiesbahn beim Bau von Kanal und Hafen (1856 bis 1943, bis 1991 für den Kiesabbau in den Schönauer Lachen) in Betrieb war, soll bis zur Luisenbrücke erweitert und um zwei Haltepunkte ergänzt werden. Zurzeit ist das Gleisnetz 1,5 Kilometer lang, ursprünglich waren es 12 Kilometer.Im Museumsbahnhof kann man sich über die Geschichte der Kiesbahn und des Kanal- und Hafenbaus informieren.
Es hat lange gedauert, bis man mit vereinten Kräften die 665 Meter lange Verbindung zwischen Karl-Heine-Kanal und Lindenauer Hafen eröffnen konnte. Zuletzt gab es 2012 und 2013 Spatenstiche. 2013 bis 2015 wurden das Flussbett und Außenanlagen errichtet. Am 29. Januar 2015 wurde das neue Flussbett binnen weniger Tagen geflutet. Der 2. Juli 2015 ging in die Stadtgeschichte ein. Nach 72 Jahren wurde der erste Durchstich feierlich eröffnet. Mit einem Bürgerfest waren alle eingeladen, die neue Verbindung zu erkunden und mit Booten und Fahrgastschiffen eine Rundfahrt zu machen.