Osnabrück (pm). Rund ein halbes Jahr ist es her, dass neben dem damals noch an der Johannisstraße stehenden Haus mit der Nummer 90a gegraben wurde. Expertinnen des Fachdienstes Archäologische Denkmalpflege für Stadt und Landkreis Osnabrück suchten im Frühjahr nach Hinweisen darauf, was sich in der Vergangenheit dort befand. Bei der anschließenden genaueren Untersuchung zeigte sich: Was sie entdeckten, reicht zurück bis ins elfte Jahrhundert.
Zunächst einmal wurden die Scherben gründlich gereinigt. Anschließend katalogisierten die Grabungsleiterinnen Sara Snowadsky und Ellinor Fischer die Funde, archivierten sie digital und versahen sie mit einem Informationszettel. In Plastiktüten verpackt füllen sie zwei flache Kisten. Darunter sind Funde aus der Zeit kurz nach 1011, als die erste Johanniskirche gebaut wurde. „Es wird deutlich, dass die Kirche zuerst da war und sozusagen auf der grünen Wiese stand“, erklärt Sara Snowadsky. „Erste Ansiedlungen folgten erst nach dem Kirchbau.“
Keramik aus dem 11. Jahrhundert gibt Aufschluss über die Menschen, die sich damals in der näheren Umgebung um die Kirche ansiedelten. Scherben deuten sowohl auf einheimische Ware als auch auf Importware hin. „Die einheimische Ware ist aus einem gröberen Material und wurde lediglich von Hand geformt. Wir haben beispielsweise Scherben von Kugeltöpfen gefunden. Sie sind typisch für die Zeit“, sagt Snowadsky. „Die importierte Keramik dagegen ist deutlich feiner gearbeitet und mit Hilfe einer Töpferscheibe hergestellt worden. Neben Kugeltöpfen wurden bereits diverse andere Gefäßformen produziert.“ Diese sogenannte Pingsdorfer Keramik wurde im Rheinland hergestellt und war zu ihrer Zeit hochwertig.
Die Erkenntnis, dass gegenüber der Johanniskirche im Mittelalter zumindest keine armen Menschen gelebt haben, zieht sich in Form der Funde durch die Jahrhunderte. So fanden die Archäologinnen unter anderem eine Ringfibel, einen Ring aus Messing oder Bronze aus dem Hoch- bis Spätmittelalter, der als Verschluss von Gewändern diente. „Es waren nicht nur reiche Menschen, die eine solche Fibel besaßen, aber wer arm war, konnte sich so etwas nicht leisten“, folgert Ellinor Fischer. Auch Siegburger Steinzeug, hochwertige Gefäße, die es ab dem 14. Jahrhundert in vielen verschiedenen Formen gab, fanden sie.
Eine weitere Entdeckung war die Ecke eines im 15. oder 16. Jahrhundert erbauten großen Steingebäudes. Um das Alter dieses Baus so genau bestimmen zu können, nutzten sie die anderen Funde. Insgesamt suchten sie bis in einer Tiefe von rund 1,40 Metern. Je tiefer die Funde liegen, desto älter sind sie. Findet man nun einen Gegenstand oder Fragmente davon in einer bestimmten Erdschicht und kann sie genau einer Zeit zuordnen, kann man das Alter dieser Schicht bestimmen. Liegt das Fundament eines Gebäudes darunter, so ist das Gebäude älter. Liegt es darüber, ist es jünger.
Auf einer Karte von 1633 zeichnete der bekannte Kartograph und Künstler Wenzel Hollar am Ausgrabungsort zwei große Kurienhäuser mit Flügeln ein. Hollar fertigte auch Zeichnungen von London und Marokko. Die Ecke eines der Osnabrücker Gebäude entdeckten die Fachleute, ob die Flügel wirklich existierten, bezweifeln sie jedoch. „Hollar war nie selbst in Osnabrück“, so Snowadsky. „Er hatte allerdings die Information, dass sich an der Stelle Gebäude im Stiftsherrenbesitz befanden und zeichnete sie entsprechend nach den allgemeinen Vorstellungen von einem solchen Haus.“ Dass es sich um Stiftsherrenhäuser handelte, geht auch aus einem Hausnummernverzeichnis von 1790 hervor. Dort sind die Bürgerhäuser mit Hausnummern verzeichnet, Häuser der Kirche dagegen häufig ohne.
Dass die Häuser gegenüber der Kirche nicht direkt an der Straße standen, sondern einige Meter zurückgesetzt, kann verschiedene Gründe haben. Grundsätzlich war die Bebauung damals nicht so dicht wie heute und es gab schlicht die Möglichkeit, vor den Gebäuden Platz zu lassen. Diese Fläche kann als Mehrzweckplatz genutzt worden sein. „Es gab damals viel Trubel vor den Kirchen, da wurde durchaus Platz benötigt“, so Snowadsky. Zudem ist der Blick auf die Kirche mit etwas Abstand attraktiver, als wenn sie direkt vor dem Betrachter aufragt.
Während der Standort der Gebäude, die einst auf dem Gelände standen, anhand der Funde bestätigt werden konnte, boten die Forschungen auch einige Überraschungen – beispielsweise die Abwesenheit von Kriegsschutt. „Die ersten 40 Zentimeter Erdreich werden bei einer Grabung von einem Bagger abgetragen“, sagt Fischer. Doch anstatt dann auf Schutt durch die Zerstörung im Zweiten Weltkrieg zu stoßen, fanden die Expertinnen direkt Gegenstände aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Fischer erklärt das so: „Der Kriegsschutt scheint an dieser Stelle vollständig entfernt worden sein.“ Auch Gräber fanden sie dort, anders als erwartet, nicht. „An der Süd- und Ostseite der Johanniskirche hat es Gräber gegeben, jenseits der Straße eindeutig nicht.“
Dass das Interesse an den Funden groß ist, haben die Expertinnen bereits während der Arbeiten vor Ort erfahren. „Am Tag der offenen Grabung kamen viele Menschen, blieben stehen und stellten Fragen“, sagt Fischer. „Zudem kamen die Kinder vom Hort der benachbarten Drei-Religionen-Schule immer wieder vorbei, um sich über den Stand der Dinge zu informieren.“ Für Fischer und Snowadsky waren die Grabungen und die dabei zutage tretenden Funde ein weiterer Schritt, um ein möglichst vollständiges Bild der Osnabrücker Vergangenheit und der Menschen, die hier vor Jahrhunderten lebten, zu zeichnen.
Zum Hintergrund: Auf dem Gelände errichtet das Stephanswerk einen Neubau mit Geschäftsräumen für soziale Einrichtungen und 19 Wohnungen für Studierende und Auszubildende. Weil der Fachdienst Archäologische Denkmalpflege für Stadt und Landkreis Osnabrück das Areal als archäologisch relevant einstufte, fanden vor dem Abriss und dem Neubau dort die Grabungen statt. Die Kosten für die Ausgrabungen und die Auswertung trägt das Stephanswerk.
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