Rheda-Wiedenbrück (pm/aw). Mehrere Wochen lang untersuchte ein Ausgrabungsteam unter fachlicher Begleitung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) eine Fläche an der Wasserstraße in Wiedenbrück, auf der zuvor zwei Fachwerkhäuser standen. Obwohl die Archäolog*innen aufgrund vieler neuzeitlicher Bodeneingriffe dort nicht mit umfangreichen Ergebnissen gerechnet haben, hatten sie viel zu tun: Zahlreiche Spuren der mittelalterlichen Bebauung kamen ans Licht. Auch Gefäßreste, Brunnen und hölzerne Fässer im Boden weisen auf die Neustadtgründung Wiedenbrücks im 13. Jahrhundert hin.
Spuren Lesen wie in einem Geschichtsbuch
Bevor der neue Bauherr und Finanzier der Ausgrabung mit der Neubebauung der Fläche beginnen konnte, bot sich Grabungsleiterin Rashida Hussein Oglü nach dem Abtragen des Oberbodens ein überraschender Anblick: "Pfostenlöcher in Reihen, die senkrecht zur Straße stehen, zeichneten sich deutlich als dunkle Verfärbungen im hellen Sandboden ab. Sie zeugen von giebelständigen Häusern, die hier bereits im Mittelalter an der Straße standen." Die Fläche befindet sich unmittelbar westlich der Burg Reckenberg und bringt nun neue Erkenntnisse zur Besiedlung des Areals als Teil der Wiedenbrücker Neustadt im 13. Jahrhundert. Anhand aufgefundener Keramikscherben lassen sich die Befunde in diese Zeit einordnen.
Schriftliche Quellen berichten, dass die Stadt in der Mitte des 13. Jahrhunderts erheblich erweitert wurde. Der Osnabrücker Bischof Engelbert von Isenberg (gest. 1250) gründete südöstlich die Burg Reckenberg. Zur selben Zeit wurde das Gebiet zwischen Burg und der westlich gelegenen Altstadt besiedelt, wissen die Fachleute. Das neue Areal wurde zudem mit einer neuen Stadtbefestigung geschützt. Die Grabungen beleuchten die Phase der zweiten Stadtgründung Wiedenbrücks nun genauer: "Gleichzeitig mit der Gründung der Burg, die zugleich die Südostecke der Stadt sicherte, errichteten die Neustadtgründer die heutige Wasserstraße", so Dr. Sven Spiong, Leiter der Außenstelle Bielefeld der LWL-Archäologie für Westfalen. Interessant sei, dass man nun eine genauere Vorstellung von der Bebauung in dieser Zeit bekommen habe, so Spiong weiter.
Schmale Häuser, kleine Gärten, Fässer im Boden
Auf den neu erschlossenen, sehr schmalen Grundstücken errichteten die Neustädter Wiedenbrücks im Mittelalter zunächst noch einfache Holzhäuser. Deren Dächer wurden von Pfosten getragen, die in den Boden eingegraben wurden. "Die Stellen, der verrotteten Holzpfosten zeigen sich noch heute anhand von dunklen Verfärbungen im Boden", erklärt Hussein Oglü. Anhand ihrer Anordnung erkennt die Grabungsleiterin, dass die Giebel zur Wasserstraße hin ausgerichtet waren und sehr schmale Durchgänge freiließen, durch die die Bewohner einst in ihre kleinen Gärten gelangten. Gleich am Ende der Gärten begrenzet der Burggraben die Grundstücke.
Ein Baggerschnitt an einer dieser Stellen zeigt den Graben mit einer Tiefe von wenig mehr als etwa einem Meter. Diese Tiefe reichte demnach aus, um ungebetene Gäste vom Burginneren fernzuhalten. Die Archäolog*innen vermuten, dass die Holzhäuser bald durch Fachwerkbauten ersetzt wurden. Jedoch hinterließen diese neuen Haustypen an der Wasserstraße keine Spuren im Boden, denn sie benötigten kein in den Boden eingelassenes Fundament. Keller gab es aufgrund des hohen Grundwasserspiegel ebenfalls nicht.
Neben den Spuren der einstigen Bebauung machten die Expert*innen aber auch noch andere Entdeckungen. Sie fanden die Reste von drei senkrecht im Boden vergrabenen Holzfässern. Die ersetzten den Menschen im Mittelalter vermutlich den Kühlschrank, darin lagerten sie Lebensmittel wie zum Beispiel Kannen voller Milch. Auch für das nötige Frischwasser war gesorgt, denn eine Brunnenanlage konnten die Archäolog:innen ebenfalls nachweisen.