Willebadessen (lwl/aw). Zum ersten Mal in Westfalen forschen Taucher der Arbeitsgruppe für maritime und limnische Archäologie der Universität Kiel (AMLA) in Zusammenarbeit mit den Archäologen des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) unter Wasser: Untersucht wird ein 170 Jahre alter Eisenbahn-Tunnel im Eggegebirge, der unter Wasser steht. Heute sind nur noch eingestürzte Schächte und Halden von dem erhalten, was über 500 Bauarbeiter vor genau 170 Jahren begonnen und nie fertiggestellt hatten. Einer der mächtigen Einschnitte als Zufahrt zum einstigen Tunnel liegt sogar komplett unter Wasser.
Überirdisch sind die Grabungsleiter Fritz Jürgens und Nils Wolpert mit einem Team von ehrenamtlichen Helfern bereits fündig geworden. Mit klassischen archäologischen Methoden haben sie den noch sichtbaren Einschnitt untersucht und Schächte und Halden vermessen. Im Sommer gruben sie an einer einstige Schenke, die der leiblichen Versorgung der Tunnel-Ingenieure diente. Hier dokumentierten die Archäologen Mauern, Pflaster oder auch Scherben von Schnapsflaschen, die von den Arbeitern hinterlassen wurden. Weitere Ausgrabungen sind für das kommende Jahr geplant.
Noch nicht erforscht ist hingegen das, was sich unter der Wasseroberfläche im gefluteten Einschnitt verbirgt. Forschungstaucher aus Kiel reisten an, um bis zum 2. Dezember in die Unterwasserwelt einzutauchen. "Wir hoffen, mehr über den Fortschritt des Tunnelbaus und die Ursache für dessen Scheitern zu erfahren", so Fritz Jürgens, einer der Initiatoren des Projektes und Forschungstaucher aus Kiel.
Auch forschungsgeschichtlich ist das Projekt von Bedeutung. "Die Relikte der frühen Industrialisierung treten zunehmend in den Fokus der Bodendenkmalpflege. Zudem ist das Projekt auch eine Premiere für die LWL-Archäologie für Westfalen als erste unterwasserarchäologische Untersuchung überhaupt", so Dr. Sven Spiong, Leiter der Außenstelle Bielefeld der LWL-Archäologie für Westfalen.
Bei den Relikten der sogenannten Alten Eisenbahn handelt es sich um die Überreste eines großangelegten Tunnelbauprojektes der "Cöln-Minden-Thüringer Verbindungs-Eisenbahngesellschaft". Die plante im Jahr 1846 die Errichtung einer Bahnstrecke zwischen der hessischen Landesgrenze und Lippstadt. Der Tunnelbau sollte mit modernster Bautechnik errichtet werden und stellte für die landwirtschaftlich geprägte Region des Eggegebirges ein Jahrhundertbauwerk dar. Während des Baus stellten sich jedoch Schwierigkeiten ein: Immer wieder kam es zu Wassereinbrüchen. Außerdem wurde die politische Situation zunehmend unsicher, die Aktionäre zahlungsunfähig.
Die Eisenbahngesellschaft musste bereits 1848 Insolvenz anmelden. Der preußische Staat übernahm die Gesellschaft und änderte die Streckenführung, sodass der Tunnel überflüssig wurde. Die Baustelle wurde aufgegeben und die fertig gestellten Tunnelabschnitte zum Schutz von Mensch und Tier gesprengt.