Stuttgart (aw). Das Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart startete Anfang dieses Monats ein vierjähriges Projekt zur Erfassung noch vorhandener Relikte an den ehemaligen Standorten nationalsozialistischer Konzentrationslager in Baden-Württemberg. Mit dieser Maßnahme möchte man zunächst die etwa 35 Außenlager des „KZ-Komplexes Natzweiler“ ins Zentrum rücken, die unter der Verwaltung des im Elsass liegenden Hauptlagers Natzweiler-Struthof standen.
Die Generation der Frauen und Männer, die aus eigenem Erleben vom Terror der nationalsozialistischen Konzentrationslager zu berichten wissen, wird in absehbarer Zeit verstummt sein. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung rückt die materielle Hinterlassenschaft der Lagerstandorte ins Blickfeld einer neuen Aufmerksamkeit.
Die engagierte Arbeit zahlreicher Gedenkstätten-Initiativen hat auch in Baden-Württemberg gezeigt, wie eindringlich ein Besuch an den historischen Orten des Terrors wirken kann. Ruinöse Reste ehemaliger Lagereinrichtungen können durch die Vermittlung ihres gesellschaftsgeschichtlichen Entstehungskontexts eine starke Zeugniskraft entwickeln. Ihre unleugbare Existenz steht gegen Vergessen und Verdrängen. Die französischen und deutschen Gedenkstätten des KZ-Komplexes Natzweiler werden aufgrund ihrer Bedeutung und Verdienste in diesem Jahr mit dem Europäischen Kulturerbesiegel der EU ausgezeichnet.
Darüber hinaus ist in den letzten Jahren ein neues wissenschaftliches Interesse an den Relikten des NS-zeitlichen Lagersystems erwacht. Mit der „zeitgeschichtlichen Archäologie“ hat sich ein neuer Ableger der archäologischen Wissenschaften etabliert, der die ehemaligen Lagerstandorte einschließlich ihrer materiellen Überreste als historische Quellen begreift, die es mit einem speziell zugeschnittenen Methoden- und Fragenkatalog zu erschließen gilt. Tatsächlich ist es entsprechenden Forschungen bereits gelungen, durch neu gewonnene Erkenntnisse Lücken in der schriftlichen und mündlichen Parallelüberlieferung zu schließen.
Solche neuen Erkenntnisse sind allemal willkommen, denn viele Bereiche der Lebenswirklichkeit in den NS-Terrorlagern sind in historischen Dokumenten nicht festgehalten worden und treten auch in Erinnerungsberichten Überlebender kaum in Erscheinung. Oft ist die Entwicklung der Lagerstandorte nicht einmal in ihren Grundzügen nachvollziehbar, sei es, weil sie in den Wirren der letzten Kriegsmonate keinen administrativen Niederschlag mehr gefunden hat, sei es, weil die betreffenden Akten durch die sich auflösenden Lagerverwaltungen vernichtet wurden. Durch archäologische Grabungen ermittelte Strukturen und Objekte können daher nicht nur Bekanntes illustrieren, sondern neue Einblicke in die bauliche Gestalt und Entwicklung sowie die logistische Organisation der Lager, aber auch in Herkunft, Größe und Alltagsleben der internierten Häftlingsgesellschaft eröffnen.
Im Rahmen des nun begonnen Projektes der archäologischen Denkmalpflege sollen die in Baden-Württemberg vorhandenen Relikte des NS-zeitlichen Lagersystems systematisch erfasst und unter denkmalfachlichen Gesichtspunkten evaluiert werden. Dabei sollen auch jene Orte mit in den Blick genommen werden, an denen die Inhaftierten zur Zwangsarbeit herangezogen wurden. Dazu gehören Schiefersteinbrüche, unterirdische Stollen, Rüstungs-Montagewerke etc. Umfang und Erhaltung der jeweils vorhandenen Überreste sind sehr unterschiedlich.
Von der noch stehenden KZ-Baracke bis zum Totalverlust ganzer Lagerstandorte durch Überbauung sind alle Spielarten der Überlieferung gegeben. Luftbildanalysen und moderne archäologische Verfahren wie Georadar und -magnetik lassen aber vielerorts unterirdische Barackenfundamente erkennen und zeigen, dass sich der Blick in den Boden selbst dort noch lohnen kann, wo oberflächlich keine baulichen Spuren mehr zu erkennen sind.
Wie Beispiele aus jüngster Zeit gezeigt haben, sind die baulichen Überreste des NS-Lagerterrors nach wie vor nicht vor unsensibler Behandlung oder gedankenloser Beseitigung gefeit. Mit der Bestandserfassung des noch Vorhandenen will das Projekt die Grundlage zur Erarbeitung eines nachhaltigen Schutzkonzeptes bereitstellen, in welchem Wesentliches von Unwesentlichem geschieden und Erhaltenswertes unter Denkmalschutz gestellt wird.