Bremen (pm/aw). Der Leuchtturm Roter Sand (LRS) in der Deutschen Bucht ist das bekannteste Seezeichen an Deutschlands Nordseeküste. Das maritime Wahrzeichen steht auf halbem Weg zwischen Helgoland und Bremerhaven in offener See, rund 30 Seemeilen von Bremerhaven entfernt. Der Turm war bei seiner Errichtung vor 130 Jahren das erste Offshore-Bauwerk der Welt. 1987 wurde der Turm in einer spektakulären Aktion zur Festigung des unter Wasser liegenden Turmsockels gerettet. Inzwischen setzen dem historischen Bauwerk erneut die See und ihre steigenden Unwägbarkeiten zu.
Die exponierte Lage auf einer Sandbank machte den Leuchtturm schon immer anfällig für Strömungen und Wellengang. Der Anstieg des Meeresspiegels und vermehrte klimabedingte Extremwettereignisse erschwerten zunehmend die Pflege und den Erhalt des Denkmals. Stellte sich die Situation nach der sichernden Turmgründung mittels eines Stahlmantels um den geschädigten Caisson 1987 zunächst positiv dar – seit Ende der 1980er Jahre konnten die Oberflächen des aufstehenden Turmes restauriert werden, ab 1990 waren regelmäßige Besichtigungsfahrten und Wartungsfahrten zum Turm seitens Förderverein, DSD und Handwerker möglich –, hat sich bereits seit Jahren die Situation dramatisch verschlechtert: der Turm ist schlechter erreichbar, die Witterungsverhältnisse sind beunruhigend und geeignete Transportmittel sind aufgrund veränderter Vorschriften nicht mehr wie früher vorhanden. Mit der Folge, dass der Leuchtturm von Besuchern nicht mehr erlebt werden kann und erforderliche Reparaturen und Wartungsmaßnahmen kaum mehr möglich sind.
Untersuchungen der Möglichkeiten für eine nachhaltige Instandhaltung
Aus diesem Grund wurden die vorhandenen Möglichkeiten einer nachhaltigen Instandhaltung des 1964 außer Betrieb gestellten Seezeichens ausführlich untersucht sowie die Ergebnisse dieser Untersuchungen und die sich daraus ergebenden Lösungsszenarien und deren Einschätzung durch eine Expertenkommission vor zwei Jahren auf einer Online-Tagung der Deutschen Stiftung Denkmalschutz (DSD) der Öffentlichkeit vorgestellt. Die bei dieser Tagung aufgekommenen neuen Fragen machten weitere Gutachten erforderlich. Es wurden Gutachten zum Entwurf eines Schutzbaus und zur technischen Machbarkeit und den Kosten einer Translozierung des LRS in Varianten erstellt.
Wichtige Grundgedanken
Für die Beurteilung der abschließenden Einschätzungen der Expertenkommission sind folgende Grundgedanken von Bedeutung. Die über 130 Jahre lange Lebensdauer des LRS ist außergewöhnlich. Der Leuchtturm ist nicht für eine so lange Zeit gebaut worden. Der eigentliche Denkmalwert liegt unter Wasser – im Gründungscaisson – und ist nicht direkt sichtbar. Es musste schon immer erklärt werden, dass das, was zu sehen ist, eigentlich nur der Hinweis auf das ist, was das Denkmal Roter Sand ausmacht. Das Denkmal Leuchtturm Roter Sans ist aufgrund seiner Lage nur für wenige Besucher direkt erlebbar und allenfalls für einige mehr im Vorüberfahren sichtbar. Die Zugänglichkeit, für die die Deutsche Stiftung Denkmalschutz nach der Inbesitznahme sorgte, wurde in den letzten Jahren durch die zunehmend unsteten Wetter und die vermehrten Extremwetterlagen sowie den Mangel an geeigneten (und für die Gäste finanzierbaren) Fahrzeugen immer schwieriger.
Was gutachterlich geprüft worden ist
Die DSD hat mit Unterstützung von Fachleuten verschiedene Möglichkeiten des Erhaltens des Leuchtturms gutachterlich prüfen lassen: vom „kontrollierten Verfall“ angefangen (quasi einem „Sterben in Würde“), über die bisherige Situation mit regelmäßiger Pflege (unter geänderten Rahmenbedingungen von Wetterlage, Verkolkungen, Umweltschutz, Erreichbarkeit, Anforderungen an Statik für Off-Shore-Gebäude), über die Überlegungen zu einem neuen Sockel in direkter Nachbarschaft zum Caisson bis hin zu einer Schutzummantelung bzw. Innenverstärkung. Keine dieser Lösungen erwies sich jedoch als nachhaltig, keine ermöglicht eine denkmalgerechte, dauerhafte und realistische Erhaltung vor Ort.
Die gutachterlichen Untersuchungen förderten außerdem einen Aspekt zu Tage, der zuvor so nicht bekannt war. Die konstruktive Verbindung zwischen Sockel und Turm ist ungeachtet aller Erwartungen zu keiner Zeit eine wirklich sichere gewesen, denn: Der Caisson mit seiner statischen Verbindung zum Turmoberteil ist kein verlässlicher Zuganker für den Turm bei einem Wellenaufschlag. Und das auf der Grundlage, dass der verwendete Puddelstahl eine bauzeittypische geringere Festigkeit aufweist und die Konstruktion an einigen Punkten an ihre Belastungsgrenze kommt.
Nicht nur die Rahmenbedingungen des Weltklimas haben sich geändert, auch die Anforderungen an Stabilität und Nachhaltigkeit. So erfüllen die verwendeten Puddelstähle nicht mehr die Anforderungen an Offshore-Bauwerke heutzutage. Höhere Belastungen erfordern bei der Erhaltung vor Ort eine Ertüchtigung der Statik etwa durch zusätzliche Verstrebungen im Inneren oder Aufdoppelungen von Stegblechen in den einzelnen Geschossen. Ob eine komplexe Erhöhung des Turmsockels die Gefahrenlage mindern kann, ist nicht absehbar.
Gründliche Materialproben der Außenbeschichtungen haben erhebliche PCB- und Bleiwerte ergeben. Dringend notwendige Arbeiten an der Außenhaut sowie ein neuer Korrosionsschutz sind so in Anbetracht der Giftstoffbelastung nur unter strikten Arbeitsschutzmaßnahmen und mit hohem Aufwand zulässig. Nicht nur die Nähe des Welterbes Wattenmeer erfordern eine Einhausung des Turms bei solchen Arbeiten, die in Anbetracht von Sturm und Tide vor Ort technisch kaum möglich ist.
Ergebnis der Überlegungen
Während jedoch ein „Sterben in Würde“ als Umgang mit diesem außergewöhnlichen Denkmal für nicht angemessen gilt, lässt sich die „konventionelle" Bewahrung nicht mehr dauerhaft umsetzen und ein Schutzbau nicht finanzieren und denkmalgerecht konstruieren. Daher gelangte die Runde der Experten nach hartem Ringen zu dem Schluss, dass eine dauerhafte Bewahrung des Leuchtturms vor Ort unrealistisch ist. Die Überlegungen konzentrieren sich nunmehr auf die vor zwei Jahren vorgestellte Variante 3, also eine „Translozierung des Turmoberteils in Küstennähe".
Auch wenn diese Ergebnisse der Gutachten angesichts der ernüchternden technischen Sachlage nicht für jeden erfreulich sein wird – für die Denkmalpfleger ist das Verbleiben des Unter-Wasser-Caissons am Ort und getrennt vom Oberteil eine bitter zu schluckende Pille–, so haben die angestellten Überlegungen sachlich überzeugen können und damit schlussendlich Klarheit gebracht. Sie zeigen im Endergebnis, dass der Leuchtturm weiter existieren und ein weiteres Kapitel in seiner wechselvollen Geschichte geschrieben werden kann.
Derzeit sucht der Bund ein geeignetes Grundstück für den Turmschaft, in ausreichender Wassertiefe und optisch zufriedenstellender Lage, das besuchsfreundlich und wartungsdienlich ist. Die Genehmigungsplanung wird folgen müssen, darunter die technische Planung für Transport und Aufbau. Schließlich muss der neue Sockel die erforderliche Infrastruktur aufnehmen, bevor die Translozierung stattfinden kann und der Caisson in situ gesichert wird.
Für alle am Turm Interessierten wird die Deutsche Stiftung Denkmalschutz in Kürze eine Webseite einrichten, auf der umfangreiches Informationsmaterial zur Verfügung gestellt wird.
Seit 1987 hat die Deutsche Stiftung Denkmalschutz zusammen mit dem Förderverein Leuchtturm Roter Sand e.V. die regelmäßige Wartung am Turm ausgeführt. Nicht zuletzt dank der treuhänderischen Stiftung Leuchtturm Roter Sand in der DSD hat sie seit der Übernahme über eine Million Euro für Sanierungs- und Restaurierungsmaßnahmen an dem technischen Denkmal bereitgestellt. Dennoch: Die nicht vermeidbaren Korrosionsschäden des im Meer gegründeten Bauwerks betreffen auch die konstruktiven Bauteile. Die Untersuchungsergebnisse hinterfragen daher die dauerhafte Haltbarkeit des vor 130 Jahren entwickelten statischen Systems im Hinblick auf die nächsten Jahrzehnte.
Informationen zum Leuchtturm Roter Sand: www.leuchtturm-roter-sand.de
Spenden und Zustiftungen in jeder Höhe sind möglich:
DSD-Stiftung Leuchtturm Roter Sand
IBAN DE05 3708 0040 0263 6670 03