Kraftwerk Lünen: Sprengungen und Event-Streaming ein Erfolg

Foto: Hagedorn Unternehmensgruppe

Lünen (aw). Wieder eine Landmarke weniger: Am vergangenen Sonntag wurden auf dem Areal des ehemaligen Steinkohlekraftwerks Kellermann im Lüner Ortsteil Lippholthausen Sprengarbeiten durchgeführt. Was sich erstmal nicht sonderlich spektakulär anhört, sollte jedoch nach Unternehmensangaben zur größten Sprengung werden, die in diesem Jahr stattfindet. Denn die Hagedorn Unternehmensgruppe wollte in zwei Etappen ein Kesselhaus, den Kühlturm, den Wäscher der Rauchgasentschwefelungsanlage und den 250 Meter hohen Schornstein des ehemaligen Kraftwerks sprengen. Seit Monaten wurden die Arbeiten vorbereitet. Insgesamt 2.100 Bohrungen und 420 Kilo Sprengstoff waren für den Mega-Abriss des STEAG-Kraftwerks in Lünen notwendig.

Bedingt durch die Corona-Pandemie hatte Hagedorn die Sprengungen in einem Event-Livestream gezeigt. Damit sollte verhindert werden, dass sich Menschenansammlungen mit Schaulustigen bildeten. Das Gebiet war weiträumig abgesperrt, die Nachbarschaft evakuiert worden. Stadt und Behörden hatten aufgerufen, die Sprengungen online zu verfolgen. Tausende sahen sich das Spektakel, das von Drohnen aufgezeichnet wurde, im Netz an. Das Online-Event, welches in dieser Branche auch bisher einzigartig war, wurde moderiert vom Comedian Matze Knop. Dieser verstand es, Experten zu sachlichen und fachlichen Aussagen zu bewegen - natürlich immer mit einer guten Portion Humor.

Der erste Teil der Sprengung wurde rund 30 Minuten vorgezogen, da die Deutsche Bahn die unmittelbar an das Kraftwerksareal angrenzende Bahnstrecke schon früher sperrte, als geplant. Nach dem Umlegen des Wäschers der Rauchgasentschwefelungsanlage erfolgte die Sprengung des Schlotes in einer sogenannten Faltung. Dabei fielen wie vorgesehen der gemauerte obere Teil nach Westen, der untere Teil nach Osten in sich zusammen. In der zweiten Etappe kurze Zeit später, fielen Kühlturm und Kesselhaus des früheren Steag-Kraftwerks. Nachdem sich die mächtigen Rauchwolken verzogen hatten, war ein großer Teil der früheren Landmarke verschwunden.

Foto: Hagedorn Unternehmensgruppe

„Wir sind mit dem Ergebnis sehr zufrieden. Denn alle Sprengungen verliefen planmäßig und die Gebäude lagen schon nach wenigen Sekunden so, wie sie sollten“, so Sprengmeister André Schewcow. „Das war ein ergreifender Moment für die Lüner*innen. Hier stand ein Kraftwerk, was den Menschen in der Region 80 Jahre lang die Lebensgrundlage geliefert hat. Es ist etwas, was wegbricht, aber gleichzeitig erleben die Menschen greifbar die Chance, dass hier etwas Neues entsteht“, unterstreicht Lünens Bürgermeister Jürgen Kleine-Frauns.

Nun folgen der Rückbau und die Verwertung der gesprengten Objekte. Dabei kommen über 40 Großbagger und Maschinen zum Einsatz, darunter auch der größte Abbruchbagger Deutschlands. Dieser wurde eigens vor einigen Wochen mit 9 Tiefladern angeliefert und auf dem Kraftwerksgelände "zusammengebaut". 100 Prozent des rund 180.000 Tonnen schweren Bauschutts und Schrotts werden recycelt und der Bauschutt noch direkt vor Ort wiederverwendet. So werden Ressourcen geschont, Transporte minimiert und die Entsorgung reduziert. „Wir bauen nun auf eine weitere gute Zukunft für das ehemalige Kraftwerksgelände. Denn wir haben es hier mit tatkräftigen privaten Investoren in einem guten Zusammenwirken mit der Stadt und Region Lünen zu tun. Gemeinsam wollen wir aus dieser Fläche etwas Gutes für die Menschen und die Wirtschaft entwickeln“, betonte Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen.

Nach einer umfangreichen Revitalisierung soll aus dem Brownfield ein Greenfield werden. Auch diese Prozesse übernimmt die Gütersloher Unternehmensgruppe selbst. Zukünftig sollen sich hier Gewerbebetriebe ansiedeln. Dafür muss allerdings noch der Bebauungsplan geändert werden, denn dieser schreibt bisher nur den Bau eines Kraftwerks vor.

Kraftwerk Kellermann

Blick von der Halde Minister Achenbach zum alten Kohlekraftwerk in Lünen
Blick von der Halde Minister Achenbach zum alten Kohlekraftwerk in Lünen. Foto: Frank Vincentz/CC BY-SA 3.0

Das Kraftwerk Lünen gehörte zum Stadtwerke-Konsortium Rhein-Ruhr und wurde von 1938 bis 1941 zur Versorgung eines in der Nähe liegenden Aluminiumwerks von der STEAG errichtet. Die damalige Leistung betrug 180 Megawatt. 1962 wurde es nach Hermann Kellermann in Kraftwerk Kellermann umbenannt. 1968 wurde der 250 Meter hohe Kamin des Kraftwerks fertiggestellt, zu diesem Zeitpunkt der höchste Schornstein Europas. In den 1970er-Jahren wurden im Kraftwerk Versuche zur Kohledruckvergasung mit angeschlossenem Gas/Dampfturbinenprozess gemacht. Das Kraftwerk verfügte zuletzt über zwei Kraftwerksblöcke mit einer Gesamtleistung von 473 Megawatt; die beiden Blöcke wiesen Leistungen von 324 und 149 Megawatt auf. Sie bezogen ihr Kühlwasser aus der Lippe.

Die STEAG beantragte die endgültige Stilllegung von Lünen 6 und 7 bei der Bundesnetzagentur zum 2. März 2019. Da keinerlei Systemrelevanz bestand, wurden die Kraftwerksblöcke 6 und 7 bereits zum 31. Dezember 2018 endgültig vom Netz genommen. Grund der Stilllegung war die Unwirtschaftlichkeit des Kraftwerksbetriebes. Im Juni 2020 begann der Rückbau der drei Kraftwerksblöcke. Am 2. Oktober 2020 erfolgte die Sprengung der Rauchgasentschwefelungsanlage, am 8. Januar 2021 folgten Elektrofilter und am 5. Februar 2021 die Rauchgasentstickungsanlage.