Polsum-Schächte werden zu hochwertigen Streuobstwiesen

Gratzel erläutert seine Ideen für die Fläche bei der Begehung des Geländes. Foto: Benito Barajas

Marl (pm/aw). Bundesweit erstmalig wird eine Industriebrache als Ökoprojekt zum Ausgleich der individuellen Lebens-Ökobilanz umgestaltet. Dieses Ziel verbirgt sich hinter dem innovativ-ökologischen Nutzungskonzept „Green Zero“, mit dem der Aachener Unternehmer Dr. Dirk C. Gratzel seinen eigenen individuellen ökologischen Fußabdruck nachhaltig ausgleichen will. „In einigen Jahren werden wir hier auf eine blühende Obstwiese und ein hochwertiges Ökotop blicken“, sagte Gratzel bei der Vorstellung seines Projektes auf dem 2008 stillgelegten Bergwerksstandort in Marl-Polsum. Gratzel hat für die Realisierung seiner Idee die zwei nah beieinander liegenden Areale der Schachtanlagen Polsum 1 und Polsum 2 – beide zusammen knapp über 11 Hektar groß - im nördlichen Ruhrgebiet vom RAG-Konzern in Essen erworben. Die RAG Montan Immobilien GmbH – die konzerneigene Immobilientochter - hat den Deal mit dem IT-Unternehmer ein gestielt, der familiäre Wurzeln im Ruhrgebiet hat.

Werner Arndt, Bürgermeister der Stadt Marl, begrüßt die Initiative des 52-jährigen Unternehmers aus Aachen: „Dass Marl der erste Ort wird, an dem ein beispielhaftes Projekt zum Ausgleich einer persönlichen CO2-Bilanz verwirklicht wird, freut mich sehr. Es ist der Ausdruck einer starken Verantwortung für unseren Lebensraum und das veränderte Bewusstsein in Sachen Umweltschutz. Das dieses eindrucksvolle Vorhaben auf einem ehemaligen Standort der Montanindustrie umgesetzt wird, ist nicht nur ein Zeichen für den Strukturwandel, sondern auch für einen ökologischen Aufbruch in unserer Region.“

Für die RAG Montan Immobilien, die dienstleistend für die RAG die ehemaligen Bergwerksflächen saniert und ebenso den konzerneigenen Flächenbestand verwertet, stellt sich das Geschäft mit dem ökobegeisterten IT-Unternehmer als ideale Lösung dar. „Der Verkauf der beiden Bergwerksflächen ist für uns eine Win-win-Situation“, sagt Andrea Klein, Geschäftsbereichsleiterin Management Nachbergbau der RAG Montan Immobilien, ausverhandelt hat. „Nach den Vorgaben der Betriebsgenehmigung für die Polsumer Schächte müssten wir nach dem Rückbau und der Flächensanierung die Flächen aufforsten und grün gestalten, eine andere Entwicklung der Standorte ist nicht möglich“, betont sie abschließend.

Die grüne Umgestaltung übernimmt Gratzel. Erste Schritte für sein „Green-Zero“-Projekt erfolgen in Kürze auf einem freien Teilstück der Schachtareale. Die beiden bebauten Hauptflächen stehen Gratzel für die Realisierung seines Konzeptes dann voraussichtlich ab Ende 2021 nach Beendigung der Bergaufsicht zur Verfügung. Bis dahin wird die RAG Montan Immobilien im Rahmen des sogenannten ABP-Verfahrens die dortigen Gebäude und Anlagen weitgehend zurückbauen und die Flächen sanieren. Diese ABP-Verfahren sind die komplexen Sanierungsverfahren auf ehemaligen Bergbauarealen, um diese für eine zukünftige Nutzung aufzubereiten. Sie laufen unter behördlicher Aufsicht der zuständigen Bezirksregierung.

Hinter Gratzels Konzept „Green Zero“ verbergen sich individuelle Erfahrungen und seine erfolgreiche Berufskarriere. Seine ökologische Leidenschaft fand der erfolgreiche IT-Unternehmer, gebürtiger Essener und Kind aus einer Bergmannsfamilie, erst in den letzten Jahren. Ausgangspunkt waren Gespräche mit seinen fünf inzwischen erwachsenen Kindern und seine Auseinandersetzung mit seinem eigenen Umweltverhalten als passionierter Jäger und Sportler.

Als Konsequenz hat Dirk Gratzel als einer der ersten Menschen mit Unterstützung der Technischen Universität Berlin seine gesamte Lebensökobilanz errechnen lassen – eine sogenannte Lebenszyklusanalyse, die bisher nur auf Produkte aber nicht auf Menschen angewandt wurde. Für Gratzel soll die Bilanz bis zum Ende seines Lebens mindestens ausgeglichen sein, bestenfalls sogar positiv. Dabei sind die persönlichen konsequenten Veränderungen vielfältig und beziehen sich auf jeglichen Lebensaspekt (Wohnen, Mobilität, Ernährung, etc.). Da ein Ausgleich aber nicht allein durch den Verzicht aufs Fliegen oder auf milchbasierte Produkte zu schaffen ist, werden die restlichen „Umweltschulden“ durch Kompensation beglichen. Statt einer einmaligen Zahlung an einen Kompensationsdienstleister hat Herr Gratzel sein eigenes Projekt ins Leben gerufen.

Mit der ökologischen Aufwertung der Industriebrachen von Schacht Polsum 1 und 2 startet Gratzel nun mit dem Kompensationsanteil seines Projektes. Mit der Schaffung einer Streuobstwiese, eines Feuchtbiotops etc. soll nicht nur den CO2-Emissionen begegnet werden, sondern beispielsweise auch dem Ausstoß von Schwefeldioxid. Ein geplantes Fledermausquartier wird voraussichtlich in einem ehemaligen Bunker auf dem Areal realisiert und soll dem nachhaltigen Artenschutz dienen.

Gratzel ist sein individueller Ansatz aber nicht ausreichend. Er denkt inzwischen über die Ausweitung seiner Idee als nachhaltiges grünes Geschäftsmodell nach. Danach könnten weitere ehemalige Industrieflächen renaturiert und interessierten Mitmenschen und Unternehmen die Möglichkeit geben, durch die Investition in die Flächen die eigene Ökobilanz zu verbessern. Die so umgestalteten Flächen könnten zu Naherholungsgebieten für die breite Bevölkerung gemacht werden.

In seinem Buch „Projekt Green Zero“, welches am 10. August im Ludwig Verlag erschien, erläutert Gratzel seine Vorstellung einer ausgeglichen Ökobilanz und präsentiert darin auch das Projekt „Green Zero“ in Marl-Polsum.