Bocholt (lwl). Fünf Monate beherrschten Handwerker und Baulärm die Szenerie in der Weberei des Textilwerks Bocholt: Wände wurden eingerissen, neue Mauern hochgezogen, Webstühle verrückt, eine Treppe eingezogen, Computerterminals installiert und mit Inhalt gefüttert. Nach Umbau und Runderneuerung der Dauerausstellung feierte der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) die Neueröffnung der Weberei. Seit Mittwoch (30.5.) sind die Türen des Industriemuseums an der Uhlandstraße nach fünfmonatiger Schließung wieder für Besucher geöffnet.
"Mit der Neueröffnung der Weberei schlägt das Herz des Industriemuseums in Bocholt wieder. Seit fast 30 Jahren sind die Menschen fasziniert zu sehen, wie an laufenden Maschinen Stoffe entstehen. Wir sind froh, dass wir unseren Besuchern dieses Erlebnis nach einer Runderneuerung der Dauerausstellung jetzt wieder bieten können", erklärte LWL-Direktor Matthias Löb. Gleichzeitig sieht Löb in der Wiedereröffnung einen weiteren Baustein für das neue Stadtquartier zwischen Innenstadt und Aasee. Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) investiert im Rahmen des Regionale 2016-Projektes "Kulturquartier Bocholter Aa und Industriestraße" (kubaai) insgesamt 3,37 Millionen Euro in Bocholt, rund die Hälfte davon sind Landeszuschüsse. Der LWL-Direktor: "Eine Investition, von der beide Seiten, Stadt und Industriemuseum, profitieren." Spinnerei und Weberei lägen mitten in dem neuen Viertel, das eine besondere Ausstrahlung und Einzigartigkeit aus der industriellen Vergangenheit schöpfe.
Zentraler Bestandteil des Projektes wird die sogenannte Podiumsbrücke, die die Stadt Bocholt über den Fluss Aa schlägt. Diese breite Brücke bietet als Platz über dem Wasser viel Aufenthaltsqualität und wird ab Herbst die beiden Museumsteile Weberei und Spinnerei verbinden. Die bisherigen Hinterhöfe will der Landschaftsverband in diesem Zuge zu einladenden Plätzen entwickeln. "Wir reißen Zäune ein und öffnen das Museum als Forum. Das Museum ist hier Ort der kulturellen und gesellschaftlichen Begegnung, diesmal indem wir es in den Stadtraum hinein verlängern", betonte Dirk Zache, Direktor des LWL-Industriemuseums.
Die "neue" Weberei
Die Weberei ist der ältere der beiden Standorte des Textilwerks Bocholt. Weil ein historisches Gebäude seinerzeit nicht zur Verfügung stand, hatte der LWL zunächst den Nachbau einer typischen Weberei aus der Zeit um 1900 für ein Textilmuseum in Bocholt beschlossen. Die Museumsfabrik wurde 1989 als erster von acht Standorten des Westfälischen Industriemuseums, heute LWL-Industriemuseum, eröffnet. "Das war eine ganz neue Museumsidee auf dem europäischen Kontinent", so Matthias Löb. Es sei damals noch kaum vorstellbar gewesen, dass Menschen auch die Stätten der Industriearbeit als Teil ihrer Kultur wertschätzen und sie gar als Besucher besichtigen würden. Der LWL-Direktor: "Heute ist Industriekultur ein Alleinstellungsmerkmal und Wirtschaftsfaktor in Nordrhein-Westfalen. Allein das LWL-Industriemuseum lockte letztes Jahr über eine halbe Million Besucher an."
Die laufenden Maschinen und die tägliche Schauproduktion waren von Anfang an die Attraktion in Bocholt. "Und das werden sie auch wieder sein", betonte Museumsleiter Dr. Hermann Josef Stenkamp. Aber nach 30 Jahren sei es höchste Zeit gewesen, die Dauerausstellung zu modernisieren. Die "neue" Weberei präsentiert sich nach dem Umbau insgesamt offener und übersichtlicher. "Es steht praktisch kein Webstuhl mehr an der alten Stelle, und sogar die komplette Meisterbude ist umgezogen", erklärte Martin Schmidt, wissenschaftlicher Referent im LWL-Industriemuseum.
Anstelle der alten Texttafeln können die Besucher jetzt an 13 modernen Terminals per Knopfdruck Informationen zu technischen Funktionen und Arbeitsabläufen abrufen. Nicht nur der Websaal mit rund 30 einsatzfähigen Webstühlen und anderen Maschinen, auch Kontor, Werkstatt und Maschinenhaus sind auf diese Weise in den Rundgang eingebunden. Der Clou ist ein digitales Rollenspiel: Besucher lernen dabei den Arbeitsalltag aus der Sicht eines Webers kennen, der 13 verschiedenen Personen begegnet. Darunter befinden sich eine Passiererin, die für die Vorbereitung der Webketten zuständig war, der Maschinist, der Heizer und ein Büroangestellter. "Damit wollen wir den Erlebniswert unseres Vorführbetriebes noch weiter stärken", so der Museumsleiter.
Family-Lab
Die Eröffnung der neuen Dauerausstellung in der Weberei ist nicht der letzte Schritt auf dem Weg zu einer Erlebniswelt des Textilen. Ein zentraler Meilenstein wird im kommenden Jahr der Aufbau des sogenannten "Family-Labs" in einer Architektur aus Überseecontainern auf dem Fabrikhof der Weberei sein. Mit Experimentierstationen will das LWL-Industriemuseum den aktuellen Bedarf nach passenden Angeboten für die sogenannten MINT-Fächer Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik aufgreifen. Schon die Kleinsten sollen hiervon profitieren, denn zum Family-Lab wird auch ein entsprechend erschlossener Spielplatz im Dreieck zwischen neuer Podiumsbrücke, der dort ansässigen Schule und dem Museum gehören. Dies alles geschieht in enger Abstimmung und Kooperation mit der Jungen Uni Bocholt und der Stadt Bocholt. "Mit dieser Idee arbeiten wir nicht nur auf der Höhe der Zeit, sondern liegen weit vorn", ist LWL-Direktor Löb überzeugt.
Auch auf der Spinnereiseite öffnet sich zukünftig die Uferpromenade als Platz. Der Besucher wird das bisherige Foyer durch die sanierte "Schlichterei" erreichen. Dazu soll eine langgezogene Stahlrampe einen barrierefreien Zugang zum Foyer ermöglichen. Im Bereich der Rampe will das Museum Großmaschinen der Textilindustrie zeigen. Außerdem soll das Archiv der Textil-Muster in das Gebäude einziehen. "Solche Archive sind heute Treffpunkte der Design-Szene und könnten künftig auch im Rahmen von Bocholter Existenzgründungen relevant werden", blickt Museumsdirektor Dirk Zache in die Zukunft.
LWL-Industriemuseum TextilWerk Bocholt, Weberei
Uhlandstraße 50, 46397 Bocholt
Geöffnet ab 30.5.2018: Di-So 10-18 Uhr; letzter Einlass 17.30 Uhr
www.lwl-industriemuseum.de