Werl (pm/aw). Bei Ausgrabungen entdeckten Archäolog*innen unter fachlicher Begleitung durch den Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) Spuren einer vorchristlichen Siedlung und Reste eines menschlichen Skeletts auf einer Baufläche für ein neues Wohngebiet zwischen der Justizvollzugsanstalt und der Humboldtstraße in Werl (Kreis Soest).
"Siedlungsreste verschiedener Kulturen der Jungsteinzeit, wie der Rössener Kultur und der Bandkeramischen Kultur, aber auch der Römischen Kaiserzeit sind uns in der näheren Umgebung bereits länger bekannt, weshalb das Gebiet bereits 2019 als vermutetes Bodendenkmal eingestuft wurde", erklärt LWL-Archäologin Dr. Eva Cichy. So geht es laut der Stadt Werl weiter: "Jetzt beabsichtigt die Wallfahrtsstadt Werl, die Ausschreibung für die Erschließung des Baugebietes Werl Nord III vorzubereiten. Der Beginn der Erschließungsmaßnahme ist noch in diesem Jahr geplant."
Eine Voruntersuchung im Jahr 2020 erbrachte den Beweis: Im Westteil der Fläche an der Humboldtstraße liegen vorgeschichtliche Spuren im Boden. Nun soll gebaut werden, weshalb eine archäologische Fachfirma die Stelle nun seit Februar 2022 ausgrub.
Rätselhafter Skelettfund in vorchristlicher Siedlung
Nach der Dokumentation von mehr als 200 Befunden auf einer Fläche von knapp 6.000 Quadratmetern ist sich Grabungsleiter Thies Evers sicher: "Es handelt sich um die Überreste eines Gehöftes aus der Zeit kurz vor Christi Geburt, denn dafür sprechen die Spuren von Getreidespeichern, Heubergen und Siedlungsgruben mit Resten von Feuerstellen, die sich auch nach über 2.000 Jahren immer noch als Verfärbungen im Boden abzeichnen." Die Untersuchung der Fundstelle liefert den Expert*innen hilfreiche Informationen zum weiteren Verständnis der Altsiedellandschaft Soester Borde. Auch wenn das Gehöft laut der Fachleute wohl nicht als Teil einer größeren Siedlung zu deuten ist, waren die Bewohner doch in überregionale Handelsnetzwerke eingebunden. Das belegen besondere Funde. Entdeckte Mahlsteine für Handmühlen aus Basaltlava mussten aus der Eifel herbeigeschafft werden. Als Schmuck wurden breite Armringe aus kobaltblauem Glas getragen, die vorwiegend in Werkstätten im Raum des heutigen Rheinlands und der Niederlande hergestellt wurden.
Rätsel bereitet den Archäolog*innen noch der Fund menschlicher Skelettreste in einer ansonsten gewöhnlichen Siedlungsgrube. Siedlungsgruben sind größere Eingrabungen, die z. B. entstanden, wenn die Menschen Material für den Hausbau entnommen oder Gruben zur Vorratsspeicherung angelegt haben. "Es kann sich nicht um eine reguläre Bestattung handeln, denn zu dieser Zeit wurden die Toten normalerweise verbrannt", weiß Grabungsleiter Evers. Doch um eine heimlich verscharrte Leiche handelt es sich ebenfalls nicht, sind sich die Fachleute einig. Die Fundsituation deutet für sie darauf hin, dass der oder die Tote schon weitgehend verwest war, als die sterblichen Überreste in diese Grube kamen. Denn die Knochen befinden sich nicht mehr im anatomischen Verbund, das Skelett ist unvollständig.
Naturwissenschaftliche Analysen sollen dieser offenbar im jungen Erwachsenenalter verstorbenen Person nun zumindest einen Teil ihrer Identität zurückgeben. Die Forschenden erhoffen sich genauere Informationen über Alter, Geschlecht und Herkunft der Person, vielleicht auch etwas über mögliche Krankheiten und ihre sonstigen Lebensumstände.
Etwa zu der Zeit, als die Expansion des Römischen Reiches an Rhein und Lippe begann, also in den letzten Jahrzehnten vor unserer Zeitrechnung, wurde das Gehöft aufgegeben. Dies geschah in geordneter Weise, wie die Archäolog*innen noch heute erkennen können. Sie sehen anhand der Bodenverfärbungen, dass die hölzernen Wandpfosten der Gebäude nicht verbrannten, sondern gezielt aus dem Boden gezogen wurden, um das Baumaterial an anderer Stelle weiterverwenden zu können. Die entstandenen Hohlräume im Boden wurden dann mit Siedlungsabfällen wie zerbrochenen Gefäßen wieder aufgefüllt.