Der „UrbanArt Biennale® 2015 - Parcours“ im Weltkulturerbe Völklinger Hütte wurde heute eröffnet. Für den „UrbanArt Parcours“ haben zahlreiche internationale Künstler vor Ort ihre Werke erschaffen. Das Spektrum reicht von der großflächigen Wand bis zur raumgreifenden dreidimensionalen Installation. Im Zusammenspiel mit der Industriekultur der Völklinger Hütte bietet der „UrbanArt Parcours“ einzigartige Kunst-Erlebnisse. Im Zentrum steht dabei die Interaktion von Werk und Raum: Zahlreiche der Kunstwerke und Installationen wurden speziell für ‚ihren‘ Ort in der Völklinger Hütte erschaffen und beziehen sich auch inhaltlich auf die Industriekultur des UNESCO-Weltkulturerbes. Zudem zeigt der „UrbanArt Parcours“ eines der spektakulärsten und meistbeachteten Street-Art-Projekte der letzten Jahre an neuer Stelle: die Bauzäune vor dem Neubau der Europäischen Zentralbank, die während der Bauarbeiten von Graffiti-Künstlern gestaltet wurden.
„Die Kunst des „UrbanArt Parcours“ potenziert die Industriekultur der Völklinger Hütte. Sowohl für die Urban Art des Parcours als auch für die Industriekultur der Völklinger Hütte erschließen sich so neue Perspektiven. Manche Arbeiten erscheinen wie ein Statement zum Ort und seiner Geschichte. Entscheidendes Kennzeichen vieler Werke des „UrbanArt Parcours“ ist der Dialog mit der Völklinger Hütte. Dies ermöglicht einzigartige Kunst-Erlebnisse. Durch den Dialog von Völklinger Hütte und Urban Art ist der „UrbanArt Parcours“ aber auch eine Einladung, neu über Themen wie Industrie, Technik, Natur und Kunst nachzudenken“, sagt Meinrad Maria Grewenig, Generaldirektor des Weltkulturerbes Völklinger Hütte.
Die „UrbanArt Biennale® 2015“ verbindet die Ausstellung in der Möllerhalle mit ortsfesten Kunstinstallationen zu einem 100.000 Quadratmeter großen Parcours im Weltkulturerbe Völklinger Hütte. Sie umfasst 120 Kunstwerke von 80 Künstlern aus 6 Kontinenten. Die „UrbanArt Biennale®“ im Weltkulturerbe Völklinger Hütte ist eine der bedeutendsten Werkschauen in Europa. Alle zwei Jahre zeigt das Europäische Zentrum für Kunst und Industriekultur die entscheidenden Positionen und zeitgenössischen Entwicklungen der Kunst, die sich aus dem Graffiti entwickelt hat.
Zahlreiche Kunst-Installationen des „UrbanArt Parcours“ finden sich im Industrie-Landschaftsgarten „Das Paradies“ auf dem Gelände der ehemaligen Kokerei. Mehr als 20 Jahre lang konnten sich hier Tiere und Pflanzen frei entfalten und haben Stück für Stück das Gelände zurückerobert. Nach den Plänen von Catherina Gräfin Bernadotte von der Insel Mainau entstand ein ‚wilder‘ Landschaftsgarten, der das Zusammenspiel von Industrie und Natur in zwölf Gartenräumen inszeniert. Heute bietet das „Paradies“ eine einzigartige Symbiose von Industriekultur, Natur und Kunst.
UrbanArt Parcours : Industrie – Natur – Kunst - Politik
An der 30 Meter hohen Wand des Kohleturms hat der französische Künstler Ludo die großflächige Arbeit „Tree of Life“ geschaffen. Es ist die größte Arbeit des Künstlers in Europa. Aus einer Ölplattform erwächst ein Baum - ein hybrider Organismus aus Stamm, Ästen und einem wurzelartigen Leitungssystem. Ludo zählt zu den renommiertesten internationalen Urban-Art-Künstlern. In seinen Arbeiten verbindet er die Welt der Tiere und Pflanzen mit unserer von Industrie und Technik geprägten Kultur. Was ist stärker: Natur oder Technik? Gehören diese beiden Dinge zusammen oder sind es gegensätzliche Welten? An kaum einem anderen Ort lässt sich besser über diese Fragen nachdenken, als in einer ehemaligen Kokerei, in die die Natur zurückgekehrt ist.
Bis jetzt noch nie für Besucher zugänglich war der sieben Meter lange und drei Meter breite Raum der Kokerei, in dem Thomas Canto seine dreidimensionale Installation „Celestial Time Blast“ eingerichtet hat. Diese Installation umfasst den gesamten Raum und versinnbildlicht für Thomas Canto die Dynamik der urbanen Kultur. In der Möllerhalle ist eine weitere dreidimensionale Arbeit von Thomas Canto zu sehen. Insofern kann man in der „UrbanArt Biennale®“ an einem Ort den Unterschied zwischen Atelierarbeit und ortsfester Installation erleben.
Auch andere Künstler wie Ammar Abo Bakr, Fouad Ceet, Remi Rough, LX One und Tarek Benaoum sind sowohl in der Möllerhalle als auch im „UrbanArt Parcours“ mit Werken vertreten. Tarek Benaoum hat im „Paradies“ einen kompletten Raum mit seiner Kunst gestaltet, die ihre Wurzeln sowohl in der Kalligrafie als auch im Graffiti hat. Im „Paradies“ kann man im wörtlichen Sinne in sein Werk ‚hineingehen‘. Der Raum der Industriekultur ist eine eigene künstlerische Dimension: Und so hat das Werk von Tarek Benaoum im Weltkulturerbe Völklinger Hütte auch einen programmatischen Namen – „Germinal“.
Die Interaktion und der Dialog von Industriekultur und UrbanArt zeigen die Arbeiten von Hendrik Beikirch und YZ im „UrbanArt Parcours“. Der in Koblenz lebende Hendrik Beikirch zählt zu den renommiertesten deutschen Street-Art-Künstlern. Für den „UrbanArt Parcours“ hat er in der ehemaligen Kokerei der Völklinger Hütte das Porträt einer traditionellen marokkanischen Tätowiererin gesprüht und gemalt. Das Werk steht in einer größeren Serie zu Menschen aus Marokko. Hierbei interessiert Hendrik Beikirch der Gegensatz zwischen der modernen Welt der gleichförmigen, austauschbaren Großstädte - wie Marrakesch und Casablanca - und der vorindustriellen Welt Marokkos. Im „UrbanArt Parcours“ des Weltkulturerbes Völklinger Hütte trifft die traditionelle Tätowiererin aus der vorindustriellen Welt auf ebendiese Industrie, die die diametral entgegengesetzte Welt der Großstädte geformt und hervorgebracht hat.
Auch die Französin YZ hat eine charakteristische Arbeit aus einer Werkserie im „Paradies“ geschaffen. Auf die raue Wand einer ehemaligen Koksbatterie, hat sie Seidenpapier geklebt, auf dem drei nackte Frauen zu sehen sind. Das Werk „Chrystal“ ist Teil der Serie „Woman from another Century“. Vorlage sind Photographien von Frauen aus dem späten 19. Jahrhundert. YZ interessiert der Gegensatz zwischen der Zartheit und ‚Zerbrechlichkeit‘ der Frauen, die sich auch in der Wahl des Materials – Acryl auf Seidenpapier – spiegelt, mit den rauen Wänden der Städte. Ihre Kunst ist eine Hommage an die Stärke der Frauen – damals wie heute. Im „UrbanArt Parcours“ des Weltkulturerbes Völklinger Hütte öffnet sich auch hier eine zusätzliche Dimension. Denn das Medium der Photographie, die abgebildeten Frauen und die Wand, an der das Kunstwerk angebracht ist, entstammen alle der Zeit der Hochindustrialisierung.
Das Wechselspiel zwischen Fragilität und Vergänglichkeit der ursprünglichen Graffiti-Kunst auf der einen Seite und der ungeheuerlichen Stabilität und Masse im Bereich der Industriekultur auf der anderen Seite thematisiert Philippe Baudelocque in seiner Arbeit „Genius Generates Gates“. Die 34 Meter lange Arbeit auf der dunkelgrauen, stählernen Tragebrücke des Kohlegleises, über das einmal große Güterzüge, schwer beladen mit der Kohle für die Kokerei fuhren, fertigte er mit Tafelkreide an. Der Genius öffnet Portale: Der Titel dieser Arbeit gilt für die Urban Art und die Industrie-Kultur in gleichem Maße.
Die gesellschaftliche Dimension der Urban Art zeigen die Bauzäune der Europäischen Zentralbank (EZB) im „UrbanArt Parcours“ des Weltkulturerbes Völklinger Hütte. Vor wenigen Wochen erst wurde der EZB-Neubau unter heftigen Protesten in Frankfurt eröffnet. Die Bauzäune vor dem Neubau der EZB, die während der Bauzeit von Graffiti-Künstlern gestaltet wurden, waren eines der meistbeachteten Street-Art-Projekte der letzten Jahre. Vier Bauzäune mit den jeweils letzten Werken sind nun im „UrbanArt Parcours“ des Weltkulturerbes Völklinger Hütte zu sehen. Sie zeigen kunstvolle Writings und künstlerische Statements zum System des Kapitalismus.
Noch stärker gesellschaftlich engagiert sind die Werke der arabischen und speziell ägyptischen Urban Art, die für den 14. Mai neu zur „UrbanArt Biennale® 2015“ hinzugekommen sind und damit den arabischen Schwerpunkt der Biennale verstärken. Die Gemeinschaftsarbeit „Is yor mother still in the nest, or has she already flown out?” von Ammar Abo Bakr, Case und El Seed in der Möllerhalle des Weltkulturerbes Völklinger Hütte zeigt Nofretete mit verbundenem Auge – eine Anspielung auf Proteste in der Kairoer Mohamed-Mahmoud-Straße im Jahr 2011, mit denen eine freie bürgerliche Gesellschaft gefordert und gegen die Herrschaft des Militärrates demonstriert wurde. Scharfschützen zielten damals mit Gummigeschossen auf die Augen der Demonstranten - einige verloren damals ein oder sogar beide Augen. Ammar Abo Bakr kreierte später zusammen mit Alaa Awad und Hanaa El Degham, die auch in der „UrbanArt Biennale® 2015“ vertreten sind, in der Mohamed-Mahmoud-Straße eine Street-Art-Ahnengalerie für die Opfer und ‚Märtyrer‘ der Ägyptischen Revolution. Die verbundenen Augen waren hierbei ein wichtiges Motiv.
Im „Paradies“ des Weltkulturerbes Völklinger Hütte hat Ammar Abo Bakr Ende März 2015 ein neues Werk geschaffen. Er reagierte hiermit auf die damals erst wenige Tage zurückliegende militärische Intervention eines arabischen Bündnisses im Jemen – unter Führung Saudi-Arabiens und Beteiligung Ägyptens. „Happy Jemen“ beruht auf der Fotografie eines kleinen Mädchens, das bei dieser Militäraktion ums Leben kam. Das Mädchen ist eine weitere ‚Märtyrerin‘ im Werk Ammar Abo Bakrs.
Auch nach dem 14. Mai werden weitere Künstler nach Völklingen reisen um vor Ort Urban-Art-Kunstwerke zu erschaffen. Im „UrbanArt Biennale® 2015 – Parcours“ gehen die raue Schönheit der Völklinger Hütte und die hintergründige, dynamische und gleichzeitig verspielte Kunst der Urban Art eine einzigartige Liaison ein. Um die Atmosphäre zu beschreiben, könnte man den Titel eines Werks von Eric Lacan („The Beauty is the Beast“) im „UrbanArt Parcours“ abwandeln: Vielleicht ist die „UrbanArt Biennale®“ im Weltkulturerbe Völklinger Hütte genau das – ein ‚schönes Biest‘.
Mehr Informationen unter www.voelklinger-huette.org