Die Gründer der ehemaligen Textilfabrik Salzmann würden sich vermutlich im Grabe umdrehen, wenn sie wüssten, was seit der Stilllegung mit ihrem Lebenswerk passiert ist. Über das heute zu den größten Industriebau-Denkmälern gehörende Ensemble an der Sandershäuser Straße in Kassel reißen die Schlagzeilen seit vielen Jahren nicht ab. Von 1994 bis 2002 befand sich die Diskothek "Stammheim" (Ex "Aufschwung Ost") in der Kulturfabrik Salzmann - den ehemaligen Räumlichkeiten der Textilfabrik. Hier fanden neben diversen Radioübertragungen auch Großveranstaltungen statt und internationale Künstler und DJs traten auf. 2002 wurde der Mietvertrag aufgrund von Beschwerden über Lärm, Müll und Parkplatzmangel gekündigt.
Über die Jahre zogen Ateliers und ein Einkaufsmarkt in einzelne Gebäudebereiche. 2003 wollte die Rosco-Unternehmensgruppe Bad Hersfeld unter der Federführung von Dennis Rossing aus der Substanz des Areals ein Kultur- und Handelszentrum formen. Nachdem die Stadt 2006 diesen Plänen eine Absage erteilte, kaufte Rossing ein Jahr später die ehemalige Salzmann-Fabrik, nun mit dem Ziel, eine Veranstaltungsarena für rund 9.000 Zuschauer zu errichten. 2009 begannen erste Abbrucharbeiten von baufälligen Gebäudeteilen an der Agathofstraße.
2010 wurden auch die Pläne für die Veranstaltungsarena auf dem Salzmanngelände verworfen. Durch das Ende der Kassel Huskies als Profimannschaft und dem Wegfall der Erstliga-Spiele konnte man die baulichen Vorhaben finanziell nicht stemmen. Noch im selben Jahr gab die Unternehmensgruppe bekannt, das Industriedenkmal in ein Behördenzentrum umbauen zu wollen und das Vorhaben aus eigener Tasche zu bezahlen. Dafür forderte Rossing die Stadt zu einem langfristigen Mietvertrag für die Hälfte der Büroflächen auf. Im Behördenzentrum sollten die Bereiche Verkehr, Umwelt, Stadtentwicklung und Bauen in einem "Technischen Rathaus" ihre neue Wirkungsstätte finden. Nur kurze Zeit später stimmte man im Rat gegen diese Pläne und verwarf selbige damit. Wieder war die Zukunft des Salzmanngeländes ungewiss.
2012 setzte man den Abbruch der nicht denkmalgeschützten Produktionshallen vor der Sanierung und dem Umbau des Ensembles fort, dieser wurde aber kurze Zeit später gestoppt. Immer noch in der Planung: Ein technisches Rathaus und eine Versicherung für die entstehenden Büroflächen. 2012 und 2013 zogen die letzten Mieter aus dem Gebäude. Dieses war nun dem Vandalismus stark ausgesetzt. Noch immer lagerte tonnenweise Bauschutt auf dem Gelände.
Währenddessen versuchten Denkmalschützer die von 1905 bis 1914 errichteten Dachhallen, in die durch Glaseinsätze im Dach Tageslicht gelangt, vor dem Abbruch zu schützen. 49 Unterzeichner eines Aufrufs des Salzmann-Forums forderten, das Industrie-Bauerk zu erhalten, und betitelten es als einen unverfälschten Meilenstein der Ingenieurbau- und Architekturgeschichte.
Zwei Jahre später verkaufte Rossing das Areal an die BHB Bauwert Holding GmbH. Diese hatte geplant, auf dem Salzmann-Gelände 450 Wohnungen, samt Parkhaus zu errichten. Die historischen Ziegelgebäude an der Sandershäuser Straße sollten erhalten und für Wohnen, Gewerbe und Kultur ausgebaut werden. Auch der Bauschutt sollte nun endlich vom Gelände verschwinden, eine Fachfirma bereitete diesen für den Abtransport vor. Doch lange währte die Freude in der Stadt über diese Pläne nicht. Denn die Holding trat im August 2015 von ihrem Kaufvertrag zurück, begründete diesen Schritt mit Differenzen mit dem Eigentümer Rossing, zu hohen Risiken für die Investition und durch eventuelle Rechtsstreitigkeiten gegen eine Wohnbebauung von gewerblichen Nachbarn.
Jetzt könnte aus dem Salzmann-Areal eine große Flüchtlingsunterkunft werden. Da die hessische Landesregierung die bisher geltende Zeitbegrenzung bis 2019 für den Betrieb von Flüchtlingsunterkünften in Gewerbegebieten aufgehoben hatte, um Investoren eine langfristige Perspektive zu bieten, machte die Stadt diese Überlegungen publik. Gibt es sonst keine tragfähigen neuen Konzepte, droht dem Salzmann-Areal wohl endgültig der Abriss. Fortsetzung folgt ... (aw)