Dülmen (lwl). Archäologen des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) haben in Dülmen (Kreis Coesfeld) die bisher älteste Glockengießergrube Deutschlands gefunden. Die Funde sind 1.200 Jahre alt. Schwarze Holzkohle, roter Lehm, grünliche Bronzereste, Fragmente von Keramik und Tiegeln: Auf den ersten Blick sieht die Grube mitten im Dülmener Stadtkern für den Laien wenig spektakulär aus. Was die LWL-Archäologen jedoch daraus lesen können, ist bemerkenswert. Nach ersten naturwissenschaftlichen Analysen handelt es sich um die älteste Grube in Deutschland, in der eine Kirchenglocke gegossen wurde. Die bisherigen archäologischen Belege zeigen, dass die Grube im 8. oder 9. Jahrhundert entstand. Damit zählt sie auch zu den ältesten Glockengießergruben des Kontinents.
Mithilfe der Holzkohle kann anhand der Zerfallszeit der Kohlenstoffatome das Alter genau bestimmt werden. Weitere Untersuchungen werden zeigen, ob die Dülmener Glockengießergrube vielleicht sogar die älteste in Europa ist. Grabungsleiter Dr. Gerard Jentgens schließt das nicht aus: "Es gibt in Ungarn und England jeweils nur einen vergleichbar frühen Befund", so der Archäologe.
Die Ursprünge Dülmens
Für den Grabungsleiter ist die Glockengießergrube darüber hinaus auch ein eindeutiger Hinweis auf die viel diskutierte Frage über die Ursprünge Dülmens und seiner Pfarrkirche. "Die lassen sich nun in der frühen karolingischen Zeit fassen. Einer Phase, in der Westfalen missioniert wurde und die erste Kirchenorganisation entstand. Hier wurde die Glocke für die erste Dülmener Pfarrkirche gegossen", sagt Jentgens. So verordnete Karl der Große für sein Herrschaftsgebiet, dass die Priester die Kirchenglocken zu läuten haben. 817 wurde festgelegt, dass jede Pfarrei eine Glocke haben muss.
"Mit dem Glockenschlag hält erstmals ein Zeitmaß Einzug in den Ablauf des täglichen Lebens. Die Glocke ruft die Bevölkerung nicht nur zum Gebet und zum Gottesdienst, sie transportiert auch andere Informationen, wie z. B. Warnungen vor Gefahren in ein weites Umfeld. Damit stellt die Glocke ein wichtiges Informationsmedium des Mittelalters dar", erläutert Dr. Hans-Werner Peine von der LWL-Archäologie Westfalen.
Die Glockengießergrube kam im Zuge von Ausgrabungen zum Vorschein, die im Vorfeld der Errichtung des Intergenerativen Zentrums im Dülmener Stadtkern seit 2015 durchgeführt werden. Sie betreffen die Keimzelle des seit 889 erstmals belegten Weilers Dülmen. Ein 1137 erwähnter Haupthof des Bischofs von Münster wird von der historischen Forschung nördlich der Baumaßnahme lokalisiert, südlich davon befindet sich die Pfarrkirche St. Viktor. Die Ursprünge Dülmens waren bislang viel diskutiert. Mancher Forscher vermutet neben den im 9. Jahrhundert erwähnten Höfen auch eine "Urpfarrei" um 800. Andere plädieren für eine Kirchengründung im 11. Jahrhundert und beziehen sich auf ein Weihedatum von 1074. Die neue Entdeckung der Archäologen gibt hier nun erstmals eine eindeutige Antwort.
Die Stadt Dülmen und die Kirchengemeinde St. Viktor sind begeistert von den aktuellen Ausgrabungsergebnissen. "Es ist beeindruckend, was diese für den Laien so unscheinbar wirkenden Steine und Formen im Erdboden über die Geschichte unserer Stadt verraten", kommentiert Bürgermeisterin Lisa Stremlau. Auch Pfarrdechant Markus Trautmann von der Kirchengemeinde St. Viktor ist beeindruckt: "Es geht einem schon nahe, den allerersten Spuren der Christianisierung des Münsterlandes hier in Dülmen buchstäblich und materiell zu begegnen." Später wurde die Glockengussgrube für eine Buntmetallwerkstatt des bischöflichen Haupthofes genutzt.
Die aktuellen Ausgrabungen beleuchten auch jüngere Epochen der Dülmener Stadtgeschichte. So sind Häuser, Wege und Brunnen aus der mittelalterlichen und neuzeitlichen Stadt östlich von Rathaus und Markt zu Tage gekommen. Darunter auch der an der Kirche gelegene Friedhofsbereich. Vielen Bestatteten des 18. und 19. Jahrhunderts sind u. a. Totenkronen mit ins Grab gegeben worden. Sie ahmen Brautkronen nach, indem sie mit Perlen, kleinen Spiegelscheiben und bunten Stoffen geschmückt sind. Diese Kronen sind in Westfalen bisher äußerst selten und beleuchten die Konfessionalisierung des Bestattungswesens nach der Reformation.