Sarkophag - Von Carola Kickers

Foto: pixelio/Katharina Wieland

Die Leere meines Seins unerträglich, seit Äonen kann ich nicht schlafen. Meine Wächter haben es mir untersagt, bis meine Erweckung erfolgt und mein Werk vollendet ist. Manchmal scheinen meine Gedanken sich aufzulösen und nur noch der Instinkt beherrscht mich. Meine Nacht besteht aus Zähnen und Klauen. Ich spüre die Ungeduld derer, die mir folgen werden. Sie lechzen nach Rache.

Der vage Frieden färbt sich rot. Es sind Visionen, die mich quälen. Visionen einer unaufhaltsamen Zukunft für eine hochmütige Rasse! Ich möchte vor mir selber fliehen. Doch ich bin ich. Unergründlich wie das Leben. Ich bin Furcht und Tod. In den letzten Jahrhunderten konnte ich spüren, wie die Stärke des Glaubens erlosch, der mich niederzwang in mein Gefängnis.

Sie glauben nicht mehr, sie wollen forschen, beweisen, ergründen und vor allem – besitzen, ohne zu teilen. Sie versündigen sich in nie gekanntem Maße, alle Warnungen missachtend! Bald wird das letzte Korn in ihrer Sanduhr in den endlosen Abgrund fallen.

Mein Warten wurde eines Tages jäh unterbrochen, als einige aus ihrer neuen Generationen mich aufspürten. Sie haben meine Ruhe gestört, die heiligen Zeichen missachtet. Mich fortgebracht mit meinem Kerker, in dem ich über viele Jahrhunderte sicher war. Ich vor ihnen und sie vor mir. Jetzt bin ich hier, mitten unter ihnen, eines von vielen angeblich wertvollen Ausstellungsstücken. Sie sind so stolz auf ihren Fund, den sie aller Welt zeigen, dass ich meinen Spott am liebsten hinaus brüllen und ihnen meine Verachtung entgegen schleudern möchte. Elende Narren! Doch ich verharre still.

Tagsüber höre ich ihre Schritte, ihre Stimmen, ihr Atmen. Lauter fremde Sprachen, die irgendwann zu einer bestimmten Uhrzeit verstummen. Ihr Lachen schmerzt dann noch nachträglich in meinen Ohren. Ihre Selbstherrlichkeit ist eine Beleidigung für mein Bewusstsein. Ich möchte aus diesem Behältnis fliehen, sie in ihre Schranken weisen und bin doch immer noch gefangen in diesem versiegelten Gefängnis. Ich weiß, dass sie mich von außen anstarren.

Sie sehen eine goldglänzende, prächtige Hülle, geschaffen, um einen Toten zu bewahren. Aber sie sehen nicht das Verderben in ihrem Inneren. In den Stunden, in denen um mich herum Ruhe herrscht, möchte ich es ihnen gleichtun und schlafen, schlafen, schlafen.... Allein, dies ist mir nicht vergönnt. Solange die Siegel intakt sind, werde ich im Zaum gehalten, muss die Kreaturen da draußen ertragen, ohne selbst wieder Schöpfer und Schnitter sein zu können. Ausgestattet mit soviel Macht und doch hilflos und gebunden. Aber ich spüre, wie meine Zeit herannaht. Manchmal streichen sie mit neugierigen Händen über die Außenhaut meines Behältnisses. Sie sind gierig. Gierig nach Wissen, Reichtum und Macht, hecheln nach Besitz.

Dafür knechten sie Ihresgleichen, ihre Mitgeschöpfe und ihre Umwelt. Dabei die alten Werte vergessend, Traditionen verleugnend, die Gesetze des Universums verachtend. Ehre und Moral werden von ihnen zertreten wie lästige Insekten. Oh, ihr Menschen! Weniger Wissen und mehr Glauben. Das könnte einige von euch retten. Sogar vor mir. Hätte die Dunkelheit meiner Anwesenheit noch ein Gesicht, so würde ich jetzt lächeln. Ich weiß genau, dass sie es nicht tun werden. Sie können sich einfach nicht beherrschen, wollen in Dimensionen vordringen, die ihnen nicht bestimmt sind.

Dimensionen, die sie verschlingen werden. Warten. Weiter warten. Und wachen. Wenn sie das Siegel brechen, werde ich frei sein. Werde mich lösen aus den Ketten und zu neuem Leben erwachen! Dann führe ich jene an, die nur darauf warten, dass ich meine Stimme erhebe. Wir werden die Menschen lehren, was es heißt, sich gegen die uralten Worte zu erheben. Beugen werden wir sie, niedermähen in ihrem Stolz. Von ferne höre ich bereits mein fahles Ross sich nähern, sein Wiehern wird mit jeder Stunde lauter.

Ich bin der vierte Reiter.

Carola Kickers

www.carola-kickers.de