Die Göltzschtalbrücke - ein Teil der sogenannten Sachsen-Franken-Magistrale - gilt nicht nur als eine der ältesten Zeugen der Eisenbahngeschichte in der Bundesrepublik, sie ist gleichzeitig auch die größte Ziegelsteinbrücke der Welt. Der ab 1846 erbaute Viadukt gilt mit seinen insgesamt 98 Bögen als Wahrzeichen des Vogtlands und überspannt zweigleisig auf der Bahnstrecke Leipzig-Hof das Tal der Göltzsch zwischen den Orten Reichenbach im Vogtland (Ortsteil Mylau) und Netzschkau. 1847 übernahm die Sächsisch-Bayerische Eisenbahn-Compagnie die Arbeiten und stellte die Brücke 1851 fertig. Benannt wurde das imposante Konstrukt nach der 1895 eröffneten Station Mylau Haltestelle, die 1903 in Bahnhof Göltzschtalbrücke umbenannt wurde. 2009 erklärte die Bundesingenieurkammer die Brücke direkt nach dem Schiffshebewerk Niederfinow (2007) zum zweiten Historischen Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst.
Der Grund für den Bau war ein logischer, dessen Realisierung für damalige Zeiten eine Mammutaufgabe. Weil durch die Bahnstrecke Leipzig-Hof - die als Sachsen-Franken-Magistrale von Leipzig über Plauen und Hof bis nach Nürnberg führt - das Göltzsch-Tal überwunden werden musste, wurde aufgrund des nur knapp verfügbaren Geldes der Bau einer Brücke ausgeschrieben. Die Planer sollten eine möglichst günstige Lösung finden. Von den 81 eingereichten Vorschlägen konnte keiner der Bewerber mittels statischer Berechnungen nachweisen, dass die Brücke nach den jeweiligen Konzepten den Belastungen des geplanten Eisenbahnverkehrs gewachsen sein würde. Also teilte man das Preisgeld auf vier Vorschläge auf, realisierte aber keinen davon.
Professor Johann Andreas Schubert, Leiter der Prüfungskommission, griff auf seine persönlichen Erfahrungen beim Bau des bereits 1845 fertiggestellten Viaduktes in Leubnitz zurück und übernahm die Planungen selbst. Hierfür griff er auch auf Lösungsmöglichkeiten aus den eingereichten Vorschlägen der Bewerber zurück. Aus diesem Grund gilt die Göltzschtalbrücke als erste statisch berechnete Brücke der Welt. Außergewöhnlich war auch das Baumaterial. Weil es in der Region zu dieser Zeit große Lehmvorkommen gab, sollte die Brücke hauptsächlich mit Ziegeln konstruiert werden. Ziegel konnten so schnell und vor allem kostengünstig beschafft werden. Für alles, was nicht mit Ziegeln bewältigt werden konnte, war Granit vorgesehen - gerade an besonders stark beanspruchten Stellen.
Weil nach Baubeginn einige Schwierigkeiten auftraten - beispielsweise war der Baugrund im Tal nicht so stabil wie vorher angenommen - wurde die Planung nachträglich geändert. Also mussten die ursprünglich geplanten gleichmäßigen Bögen nach einem Entwurf von Oberingenieur Robert Wilke durch einen mittigen und wesentlich größeren Bogen ersetzt werden. Während der Konstruktion lieferten täglich bis zu 20 Ziegeleien aus der Region 50.000 Ziegel im Dresdner Format zur Baustelle. Für das Gerüst wurden 23.000 Bäume verbraucht. 1736 Arbeiter waren während der Baumaßnahme beschäftigt. Während des Baus verloren 31 Arbeiter bei Unfällen ihr Leben.
Die Göltzschtalbrücke erhielt 1930 eine neue Fahrbahnwanne aus Stahlbeton, dadurch konnte die Fahrbahn verbreitert werden. Zusätzlich spendierte man eine neue Brüstung. Den Zweiten Weltkrieg überstand die Brücke ohne nennenswerte Schäden. Dabei sollte diese eigentlich von der Wehrmacht gesprengt werden - Planungen dazu wurden jedoch nicht mehr realisiert. 25 Jahre später (1955), bis einschließlich 1958, sanierte man die Substanz der Brücke, 1977 führte man dringende Arbeiten durch - wie das Anbringen von Stahlblechabdeckungen.
Was im 19. Jahrhundert aus Ziegeln erbaut wurde, ist noch heute ein wichtiger und vor allem belebter Streckenpunkt der Bahn. Über die Brücke rauschen täglich Neigetechnikzüge (die Wagenkästen eines Eisenbahnzuges werden zur Kurveninnenseite geneigt reduzieren damit die empfundene Seitenbeschleunigung). Wer die Brücke in seiner ganzen Pracht erleben möchte, kann mittels beschilderten Wegen entlang des Konstrukts wandeln. Zu Kräften kommt man nach einer ausgedehnten Wanderung in den Biergärten am Fuße der Brücke. Hier finden auf der Freifläche davor über das Jahr diverse Open-Air-Veranstaltungen statt.
Über die vielen Jahre der Existenz des Bauwerks mit seinen 78 Metern Höhe in teilweise 4 Etagen mit 98 Gewölben gab und gibt es nicht nur rosige Zeiten. Immer wieder stürzen sich Menschen von der Brücke in den Tod. 2001 nahmen sich gleich 3 Jugendliche das Leben durch einen Sprung in die Tiefe. Als es 2002 acht Suizide in acht Monaten gab, verstärkte die Bundespolizei die Kontrollen. Eine Möglichkeit des Überquerens auf etwa halber Höhe über einen Steg wurde später durch eine Sperrung unterbunden. Doch im Leben ist es oft leider so: wo ein Wille, da ein Weg. Der 2002 erschienene Dokumentarfilm "Teuflische Spiele" zeigt das Leben der hinterbliebenen Freunde und ihre Versuche, das Geschehene zu verstehen.
In den Jahren 2006 bis 2008 installierte die Bahn eine neue Befahranlage für Wartungsarbeiten. Im Zuge der Elektrifizierung des Abschnitts Reichenbach-Hof war die Brücke von Mitte 2010 bis Anfang 2012 nur eingleisig befahrbar. Zur Vergrößerung der lichten Breite zwischen den Geländern von 9,0 Meter auf 10,6 Meter wurde der Einbau eines neuen Gleistragwerkes installiert, das aus 650 Stahlbeton-Halbfertigteilen bestand. Die 22 Fahrleitungsmaste wurden in den Pfeilerachsen angeordnet und durch gestaltete Kanzeln betont. Zur Vermeidung von Schneeverwehungen im Winter wurde ein mit Gitterrostelementen gefülltes Geländer errichtet, das aus der Entfernung betrachtet den Eindruck einer geschlossenen Brüstung vermittelt. Für die Bauarbeiten wurde ein bis zu 78 Meter hohes und 800 Tonnen schweres Arbeits- und Schutzgerüst installiert.
2018 erschien die sehenswerte MDR-Dokumentation "Das Wunder vom Göltzschtal" aus der Reihe "Der Osten - Entdecke wo du lebst" (Produktion 2017), mit nicht nur wunderbaren historischen Aufnahmen, sondern auch Protagonisten, die in gewisser Art und Weise emotional mit der Göltzschtalbrücke verbunden sind.
Quellen: MDR, Eisenbahn-Magazin, Wikipedia, privat
Interessante Links
www.goeltzschtalbruecke.de
Video von der Erneuerung und Elektrifizierung der Brücke
Dokument-Information
Objekt ID: rp-033068
Kategorie: Brücken & Tunnel
Bundesland: Sachsen
Standort: Brückenstraße, 08491 Netzschkau
Baujahr: 1846-1851
Denkmalschutz: ja
Planer: Johann Andreas Schubert
Objekt erfasst: 25.08.2017
Objekt erstellt: 17.05.2018
Letzte Änderung: 17.05.2018
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