Stikkenfabrik Ahaus

Sie war einst die größte Zündholzfirma in Deutschland, die Stikkenfabrik in Ahaus (Kreis Borken). Nun endete ein ehemals wichtiges Kapitel westfälischer Industriegeschichte, die Fabrik wurde abgerissen. Bürger kämpften noch bis zum Schluss um den Erhalt des 42 Meter hohen Schornsteins als Denkmal, vergebens. 1881 errichteten der Bankier Heinrich Henner und der Vollkaufmann Matthias Reuland aus Dortmund im westfälischen Ahaus die Zündholzfabrik, früher Stikkenfabrik genannt. Zu Beginn fertigten 45 Arbeiter aus dem aus Russland importierten Aspenholz (Zitterpappel) die Zündhölzer in Handarbeit. Später verwendete man Hölzer aus heimischem Anbau. Neben Phosphorhölzern bot die Stikkenfabrik Sicherheitszündhölzer nach schwedischem Vorbild an. Diese entzündeten sich ausschließlich auf der Reibefläche der Zündholzschachtel, also wesentlich sicherer, als die gefährlichen Überallzünder. Als Firmensymbol (Fabrik-Zeichen) reservierte sich das Unternehmen passend zum Produkt den Prometheus, der nach griechischer Mythologie „der Feuerbringer“ ist.

Um bei den Zündholzschachteln Qualität zu suggerieren, ahmte man in den Anfangszeiten der Fabrik das Design der schwedischen Schachteln nach. In den Folgejahren wechselte das Unternehmen aber auf Eigenproduktionen, die voller Nationalstolz die Herkunft der Hölzer betonten. Die Schachteln, die 65 Zündhölzer beinhalteten, waren nun mit den Aufschriften „Deutsche Kaiserhölzer“, „Germania Salonhölzer“ oder „Westfalia Hölzer“ etikettiert. Pro Tag wurden so zwischen 50.000 und 60.000 Schachteln produziert, die in Heimarbeit hergestellt und in der Fabrik befüllt wurden.

Noch in den 1880er-Jahren verkauften die Gründer die Zündholzfabrik an den Dortmunder Kaufmann Joseph Kurz, der nun unter dem Namen „Westfälische Zündwarenfabrik“ neben den Zündhölzern auch Glühbirnen produzierte, diese allerdings ohne Erfolg. 1914 kaufte die „Stahl & Nölke AG“ aus Kassel die Fabrik auf, modernisierte den Maschinenpark und stemmte die Fertigung zu einem lohnenden Geschäft. Als sich in den 1920er-Jahren die deutschen Zündholzfabriken zur „Deutschen Zündholz-Verkaufs-AG“ zusammenschlossen, wurde der Ahauser Betrieb zu einem Zeigewerk dieser Organisation. Der schwedische „Zündholzkönig“ Ivar Kreuger mit seinem Konzern hielt hier die Mehrheit. Im Vergleich dazu erzielte der Ahauser Betrieb den größten Ausstoß bei kleinster Fläche und mit geringsten Kosten.

1930 wurde durch den Reichstag das Zündwarenmonopolgesetz erlassen. Aufgrund dieses Gesetzes durften Zündhölzer im Deutschen Reich und in der Folge auch in der Bundesrepublik Deutschland nur von der Deutschen Zündwaren-Monopolgesellschaft (DZMG) vertrieben werden, denen alle zur Produktion von Zündwaren berechtigten deutschen Unternehmen angehörten. Den deutschen Herstellern wurden bei der Einrichtung des Monopols Produktionskontingente zugeteilt; Exporte oder die Neugründung von Unternehmen waren nicht erlaubt.

Eine Überprüfung verschiedener Zündholzwerke zu Beginn der 1960er-Jahre durch die DZMG zeigte, dass sich der Ahauser Betrieb für eine weitere Modernisierung anbot, der mit seiner Position mitten im westfälischen Pappelanbaugebiet eine günstige Zündholzbeschaffung garantierte. Deckten bisher andere deutsche Fabriken durch Importe den Bedarf der Industrieregion Rhein-Ruhr, übernahm diese nun das Ahauser Werk. Doch der Absatz der Streichhölzer verschlechterte sich mit der Zeit zunehmend, der Siegeszug des Einwegfeuerzeugs war unaufhaltsam vorangeschritten, die Hölzer wurden immer mehr vom Markt verdrängt.

1983 wurde das Zündwarenmonopolgesetz außer Kraft gesetzt, die Preise für Zündhölzer fielen um ein Drittel. Die Ahauser Stikkenfabrik erlebte diesen industriellen Schritt allerdings nicht mehr, 1978 kam das Aus für das Unternehmen. Zuletzt wurden Tag für Tag mehr als 23 Millionen Streichholzschachteln mit 107 Millionen Streichhölzern in Ahaus produziert. Seitdem wurde das Werk seinem Schicksal überlassen.

Im Frühjahr 2010 wurde mit dem Abriss der ehemaligen Stikkenfabrik begonnen. Wenige Monate später verschwand so ein industrieller Meilenstein westfälischer Geschichte. Die Ahauser Bürger hatten bis zuletzt für den Erhalt des Schornsteins der Fabrik als Denkmal gekämpft, vergebens. In der Sitzung des Rates der Stadt Ahaus Ende Januar 2010 wurde mit großer Mehrheit auch der Abriss des 42 Meter hohen Schlotes beschlossen.

Quellen: Gemeindeverwaltung Ahaus, diverse Zeitungsartikel, Zeitzeugen

Dokumenten Information
Copyright © rottenplaces 2010
Dokument erstellt am 22.01.2010
Letzte Änderung am 25.06.2014

Vorheriger ArtikelBahnhof Hiltrup
Nächster ArtikelZiegelwerke Flörke & Lohmeyer
André Winternitz, Jahrgang 1977, ist freier Journalist und Redakteur, lebt und arbeitet in Schloß Holte-Stukenbrock. Neben der Verantwortung für das Onlinemagazin rottenplaces.de und das vierteljährlich erscheinende "rottenplaces Magazin" schreibt er für verschiedene, überregionale Medien. Winternitz macht sich stark für die Akzeptanz verlassener Bauwerke, den Denkmalschutz und die Industriekultur.