Es wirkte wie in einem Endzeitfilm. Ausgediente Tatra-Bahnen der Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) im Straßenbahnhof Leipzig-Leutzsch standen auf dem Abstellgleis. Sie waren teilweise ausgebrannt, die Innenräume zerstört, Inventar gestohlen, der Corpus mit Graffitis übersäht. Im Depot und im Außenbereich warten die nostalgischen Gefährte auf ihre weitere Bestimmung. Der Eigentümer ist sich sicher, dass ihr Sammlerwert noch steigt. Doch die Realität sieht anders aus. Die meisten ausrangierten Tatra-Bahnen sind bis heute auf dem Schrottplatz gelandet, ein Ende ist nicht in Sicht.
Lange Zeit warteten 18 Bahnen im Straßenbahnhof auf ihre Verschrottung. Doch der Schrottpreis rutscht immer mehr in den Keller. Wie ein LVB-Fahrzeugmanager noch im Februar 2016 der Leipziger Volkszeitung mitteilte, gab es früher für eine ausrangierte Bahn etwa 5.000 Euro. Heute liegt der Preis bei gerade einmal bei einem Fünftel. Dennoch begann ein Abbruchbagger im Juli mit der chirurgischen Zerlegung der alten Bahnen. Vorher hatten die LVB alles Wiederverwertbare ausgebaut, darunter Getriebestufen, Fahrmotoren und Bremsenteile. Der Rest wird in filetierten Teilen mit Schwerlast-Lkws nach Espenhain verbracht, wo die Bahnen in noch kleinere Teile zerlegt und dann geschreddert werden. Den Stahl übergibt man im Anschluss an die Stahlwerke Riesa, Unterwellenborn und Brandenburg.
Ende der 60er Jahre begann die Ära der Tatra-Bahnen in Dresden. Weil der Nahverkehr kurz vor dem Kollaps stand, schienen die Straßenbahnen aus tschechoslowakischer Produktion genau zur rechten Zeit zu kommen. Bis zu 4.000 Tatra-Bahnen wurden bis zur Wende in die DDR geliefert. Doch die Fahrzeuge hatten einige Tücken. Weichen wurden aus dem Führerhaus per Knopfdruck gestellt, teilweise mit einer gewissen Portion Raffinesse. Um einer Weiche die nötige Portion Schwung zu geben, musste der Straßenbahnführer den Stromverbrauch drastisch erhöhen, beispielsweise indem er die Heizung hochfuhr. Dies hatte besonders im Sommer einen großen Nachteil, wenn selbiger vergaß, die Heizung im Anschluss wieder herunterzuregeln.
Die Tatra-Straßenbahnen wurden beim ehemaligen tschechischen Hersteller ČKD Tatra mit Sitz in Prag gebaut und galten umgangssprachlich als Rückgart der städtischen Verkehrsbetriebe. Fahrzeuge dieses Typs kamen aufgrund eines RGW-Abkommens (RGW = Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe, eine internationale Organisation der sozialistischen Staaten unter Führung der Sowjetunion) in fast allen Ostblock-Staaten zum Einsatz, darunter der DDR, der Sowjetunion, Ungarn, Rumänien und Jugoslawien. Zu den häufigsten Varianten in ostdeutschen Städten zählten die Typen T3D, T4D, KT4D und T6A2D sowie deren modernisierte Formen, teilweise auch mit Niederflur-Mittelteilen.
Einer der ersten Triebwagen steht heute auf Hochglanz poliert bei den Dresdner Verkehrsbetrieben. Heute werden die Bahnen von der Aliance TW, ein Konsortium dreier kleiner tschechischer Unternehmen, weiterentwickelt. Nach der Wende wurden viele der ausgemusterten Bahnen in die ganze Welt verkauft, größtenteils an Museen und private Tatra-Liebhaber. Alleine 60 alte Triebwagen und 40 Beiwagen verkaufte die Stadt Dresden in den 1990er Jahren nach Nordkorea. Auch in Russland sind die Kultbahnen zu finden, diese stammen aus Chemnitz.
Im Straßenbahndepot Leipzig-Leutzsch jedenfalls sind die meisten Tatra-Bahnen Geschichte. Bis 2020 möchte die Messestadt die noch 110 aktiven Tatras aus dem Stadtbild entfernen. Wenn dem so ist, endet ein wichtiges Kapitel der Straßenbahngeschichte. Dafür sollen jedoch 41 neue Bahnen angeschafft werden.
Quellen: Leipziger Volkszeitung, Wikipedia, pragoimex.cz, tatrawagen.de, privat
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Dokument erstellt am 22.09.2016
Letzte Änderung am 22.09.2016