Die Planungen für neue Rüstungsbetriebe im Deutschen Reich begannen unmittelbar nach der Machtübernahme durch die NSDAP im Jahr 1933. Renomierte Ingenieurbüros wurden damit beauftragt Vorlagen und Planungen für Rüstungsbetriebe zu entwickeln. Es sollte ein Standard geschaffen werden, der bei allen zukünftigen Planungen für solche Bauvorhaben umgesetzt werden könnte. Namhafte deutsche Firmen wurden in diese Planungen mit einbezogen und da diese zu den größten Geldgebern der NSDAP gehörten, erfolgte durch diese konsequenterweise eine bevorzugte Auftragsvergabe an selbige.
Mit Hilfe der Dynamit-Aktien-Gesellschaft (D.A.G) suchte das Oberkommando des Heeres (OKH) geeignete Standorte für die grossen Sprengstoff- und Munitionswerke. Diese sollten nicht unmittelbar in der Nähe zu einer Großstadt liegen, über dichten Waldbewuchs zur Tarnung sowie gute Anbindungsmöglichkeiten an Strasse und Bahn verfügen. Weitere Vorgaben waren die Gegebenheiten zur Deckung des enormen Wasserbedarfs, Deckung des hohen Energiebedarfs sowie die Möglichkeit der Region eine hohe Anzahl Arbeitskräfte zu entziehen ohne andere kriegswichtige Industrien zu belasten. In der Nähe der nordhessischen Kleinstadt Hessisch Lichtenau fand man einen solchen Standort. Lediglich auf die Anbindung an eine Wasserstrasse zur leichteren Be- und Ablieferung mengenintensiver Güter musste verzichtet werden.
Die Substanz des dichten Mischwaldes und die großflächigen Erhebungen des Kaufunger-Meissner Waldes boten beste Tarnmöglichkeiten der Muna, die umliegende Infrastruktur bestehend aus kleinbäuerlichen- und handwerklichen Betrieben erlaubte den Abzug grosser Mengen an Arbeitskräften. Eine leichte Anbindung an das Strassen- und Bahnnetz, grosse Wasserreserven und zwei in direkter Nähe liegende Braunkohlegruben für die Energieversorgung machten das Areal fast perfekt.
1936 begannen die Arbeiten zur Errichtung der Munitionsfabrik unter dem Decknamen "Friedland Werke". Namhafte Bauunternehmungen richteten sich auf der Großbaustelle ein, mehrere tausend Männer im Mehrschichtbetrieb, die teils aus der Region zum anderen Teil aus überregionalen Gebieten stammten wurden verpflichtet. Die meisten Arbeiter wurden in Lagern in der Umgebung untergebracht. Dafür erbaute man Häuser und hauptsächlich Baracken in stillgelegten Fabrikgebäuden in Waldhof, Eschenstruth, Hessisch Lichtenau, Fürstenhagen und Föhren und Friedrichsbrück. Die Unterkünfte sowie die Arbeitsbedingungen für die einfachen Arbeiter waren mangelhaft. Die Lager waren überfüllt und die Schutzmaßnahmen für die Arbeiter sehr dürftig. Es kam zu Verletzungen und Krankheiten, die zum Teil zum Tod führten. Ab 1938 arbeiteten Deutsche freiwillig oder weil sie zum Arbeitsdienst verpflichtet wurden in der Munitionsfabrikation. Da der Unwillen unter ihnen wegen den schlechten und gefährlichen Arbeitsbedingungen groß war und die Arbeiterzahlen noch nicht reichten, kamen ab 1940 ausländische Arbeiter zum Einsatz, Polen, Holländer, Tschechen und Italiener. Obwohl man zuerst Bedenken hatte Ausländer einzusetzen, da die Produktion geheim bleiben sollte, stieg der Ausländeranteil ab 1942 erheblich.
Im Juni 1938 konnte mit der Produktion von TNT (Trinitrotoluol) begonnen werden und im August waren die Pressen fertig gestellt. Ab 1939 wurde auch Pikrinsäure (Trinitrophenol) produziert. Pressereien und Füllstellen hierfür konnten zu Beginn des Jahres 1940 in Betrieb genommen werden. Des Weiteren sollte noch eine Anlage zum Verfüllen von Nitropenta entstehen und die TNT-Produktion erweitert werden. Die Munitionsfabrik in Hirschhagen war für deutsche Kriegsführung so sehr von Bedeutung, dass trotz allgemeinen Sparmaßnahmen immer mehr Geld für den Ausbau der Anlagen inklusive Wegenetz ausgegeben wurde. Allerdings gewann man ab 1940 aus den Säureabfällen mit Hilfe einer Denitrierungs- und Konzentrationsanlage teuer und schwer beschaffbar gewordene Rohstoffe zurück um sie wieder zu verwerten. Zwischen 1939 und 1944 wurde das Werk durch Ausbaumaßnahmen immer unabhängiger. Es bezog zwar Rohstoffe, hatte aber eigene Sprengstofflager, eine eigene Sprengstoffproduktion, erzeugte selber Energie (aus Kohle), besaß eine Kläranlage und Verwaltungsgebäude, sowie verschiedene Werkstätten.
Die Kläranlage entstand 1941 und verwendete Ätzkalk zum Neutralisieren der Säuren. Zuvor wurden die gesamten Abwässer durch ein verzweigtes Kanalsystem ohne jegliche Neutralisierung oder Reinigung in den Rohrbach geleitet. 1945, mit dem Einmarsch der Alliierten endete die Munitionsfabrikation. Die Anlagen wurden demontiert, Chemikalien größtenteils in das umliegende Gebiet geschüttet und nur die sofort verwendbaren Materialien, wie Metallkessel, mitgenommen. Von 1938 bis 1945 hatte man circa 135.000 Tonnen TNT und 7.000 Tonnen Pikrinsäure produziert. Die Grundstoffe wurden in Güterwaggons und Kesselwagen bis zum werkseigenen Bahnhof Steinholz von der Reichsbahn angeliefert. Von da aus übernahmen aus Sicherheitsgründen feuerlose Dampflokomotiven den Transport bis ins Werksgelände.Die Waggons wurden an mehreren Laderampen entladen und die angelieferten Produkte in verschiedene Lagerhäuser gebracht. Schüttgut wurde in Silos gelagert und die flüssigen Stoffen aus den Kesselwagen wurden durch ein weitverzweigtes Rohrsystem in verschiedene Kesselhäuser und unterirdische Tanks gepumpt. Auf der 17 km langen Ringstrecke (Fremdlink ») mit Ausweichgleisen und Stichstrecken der Werksbahn durften wegen Funkenflug und damit verbundener Explosionsgefahr bei normalen Dampfloks nur feuerlose Speicherloks fahren. Diese kleinen Loks hatten Überdruckkessel die an Füllstellen aus dem Werksdampfnetz befüllt wurden. Auf dem weitverzweigten Straßennetz innerhalb des Werks durften nur Elektrokarren fahren, diese übernahmen den Kleingüter- und Personentransport.
Der Ausländeranteil stieg ab 1942 erheblich. Es kamen Arbeiter aus Bulgarien, der Sowjetunion, Frankreich und Belgien hinzu. Die meisten waren als Hilfsarbeiter/innen eingesetzt. Wenige waren ausgebildet oder als Angestellte tätig. Da es auf Grund von deutschen Niederlagen (Stalingrad) schwieriger wurde ausländische Arbeiter einzusetzen, bekam man im Juni 1944 150 Zwangsarbeiter aus dem Lager Breitenau und kurz darauf 1000 ungarische Jüdinnen aus dem KZ Auschwitz zugeteilt. Nicht mehr arbeitsfähige Personen wurden dorthin zurück geschickt und ermordet. Das Lager in der Heinrichstraße in Hessisch Lichtenau, in dem auch Zwangsarbeiter untergebracht waren, wird daher auch oft als Außenkommando des KZ Auschwitz bezeichnet. 1944 arbeiteten über 4.000 Menschen in der Munitionsfabrik Hirschhagen. Bei Explosion gab es für die anwesenden Arbeiter keine Überlebensmöglichkeit.
Das Werk wurde, obwohl es Luftbilder der RAF aus dem Jahr 1943 gibt, nicht angegriffen. Eine Zerstörung der Säurespaltanlage hätte die Sprengstoffproduktion in vielen anderen Werken stark gestört, denn nur wenige der 27 größeren Sprengstofffabriken und Munitionsanstalten verfügten über solch eine Anlage und mußten beliefert werden. Nach der Besetzung durch die Alliierten im April 1945 und ihrer relativ schnellen und unsachgemäßen Demontage der Sprengstoffanlagen hatte das Ministerial Collecting Centre (MCC), das Akten der Nationalsozialisten sammelte, seinen Sitz in Hirschhagen. Seit 1947 siedelten sich unterschiedliche Betriebe in Hirschhagen an. 1951 wurde das Gelände der Industrieverwaltungsgesellschaft (kurz: IVG), die als Rechtsnachfolger der im Dritten Reich
verantwortlichen Firmen (Rüstungsviereck) auftrat und dem Bund gehörte, zugeschrieben. Erst in den 60er Jahren, über 15 Jahre nach dem Ende der Munitionsfabrik, wurde man auf Verunreinigungen aufmerksam. 1963 entdeckte man das erste Giftbecken, da ein Hund dort hineingefallen und an den Folgen einer Vergiftung gestorben war. Von 1992 bis ins Jahr 2009 lief die planmässige Bodensanierung im Auftrag des Landes Hessen und kostete Millionen Euro.
Das Gelände der ehemaligen Munitionsfabrik wurde als Gewerbegebiet umfunktioniert und es siedelten sich einige mittelständige- und viele kleine Betriebe an, auch wurden Gebäude als Wohnhäuser umgebaut was diesen ein oft skurriles Aussehen verlieh und noch heute verleiht. Bei vielen der in Hirschhagen ansässigen Betriebe kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass keine Öffentlichkeit gewünscht wird - Scheinwerfer und Wachhunde sind weit verbreitet, was aber sicherlich zuletzt auf die Abgelegenheit der Gelände deutet. Rüstungsaltlasten stellen eine Herausforderung und größtenteils auch eine Bedrohung für Menschen dar, die in ihrer Umgebung leben. So trifft man in Hirschhagen nicht selten im Wald auf eingezäunte Bereiche mit Warnhinweisen, da sie durch toxische Stoffe verseucht sind.
Quellen: "Entstehung und Sanierung der Rüstungsaltlasten in Hirschhagen" von Hanna Oehl, Wikipedia, privat
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Dokument erstellt am 10.03.2012
Letzte Änderung am 03.07.2014