Ihre Schwarz-Weiß-Fotografien von Industrieanlagen, Förder-, Wassertürmen, Fabrikhallen, Gasometern, Getreidesilos und Fachwerkhäusern machten Hilla und Bernd Becher weltbekannt. Beide fotografierten über 40 Jahre unzählige Bauten und Konstrukte, galten als Repräsentanten der Industriefotografie und erhielten dafür unter anderem den Goslarer Kaiserring, dem Staatspreis des Landes Nordrhein-Westfalen, dem Erasmuspreis oder den Goldenen Löwen der Biennale in Venedig. Viele Bilder hängen in den Museen dieser Welt. 2007 starb Bernd Becher im Alter von 75 Jahren. Seine Frau führte die fotokünstlerische Arbeit auch mit neuen Werken fort, erhielt im letzten Jahr noch den Großen Rheinischen Kulturpreis. Am Samstag starb Hilla Becher im Alter von 81 Jahren in Düsseldorf - dies teilte ihr Verlag Schirmer/Mosel mit.
Die Eiserne Lady der deutschen Fotografie - geboren 1934 in Potsdam - stammte aus einer gutbürgerlichen Familie und entdeckte schon als Kind die Leidenschaft für die Fotografie, bekam mit 13 die erste Kamera geschenkt. Im renommierten Fotoatelier von Walter Eichgrün absolvierte Hilla Becher eine dreijährige Ausbildung. Hier kam sie zum ersten Mal mit der Architekturfotografie in Kontakt, denn das Atelier fertigte nicht nur die üblich gewohnten Porträtfotos, sondern beschäftigte sich auch mit der Dokumentation von historischen Schlossanlagen und des Stadtbilds. Bei Aufnahmen der Schlösser und Gärten von Sanssouci übernahm Becher die Assistenz und entwickelte so ein Gefühl für die extensive fotografische Erschließung von Architektur und Skulptur im betreffenden Landschaftsraum. Als Inspriatoren nannte sie wichtige Fotografen des 20. Jahrhunderts, darunter August Sander († 1964), Karl Blossfeldt († 1932) und Albert Renger-Patzsch († 1966), die der Stilrichtung der Neuen Sachlichkeit zugeordnet waren. Zu den Vorbildern gehörten aber auch die feinen Zeichnungen des Naturforschers Charles Darwin.
Hilla Becher arbeitete ab 1954 für eine Hamburger Luftbildfirma, für die sie als Fotografin tätig war, und wechselte 1957 zur Webeagentur Hubert Troost, wo sie nicht nur ihren späteren Mann, sondern auch ihren späteren Professor, den deutschen Gebrauchsgrafiker Walter Breker († 1980) kennenlernte, der seine Professur an der Kunstakademie Düsseldorf ausübte. Hier bewarb sich Hilla Becher und wurde angenommen. Walter Breker ermöglichte den Bechers, die durch den Besuch seiner Gebrauchsgrafikkurse ihr fotografisch-gestalterisches Portfolio ausbauten, die erste Fotowerkstatt in der Akademie einzurichten. Bernd Becher übernahm 1976 an der Akademie eine Professur für Fotografie, die er bis 1996 innehatte. Die Bechers verstanden sich jedoch eher als lehrend und kooperierten so eng mit den Studenten in der Ausbildung. Beide gründeten später die Düsseldorfer Photoschule, deren Zentren die Düsseldorfer Kunstakademie und das gemeinsame spätere Atelier, dem Kunstarchiv Kaiserswerth in Düsseldorf-Kaiserswerth waren.
Aus der "Becher-Schule" - wie die Schule auch genannt wurde, entsprangen aus heutiger, internationaler Sicht herausragende Vertreter der deutschen Fotografie. Dazu gehören unter anderem Thomas Struth, Candida Höfer, Andreas Gursky, Thomas Ruff, Jörg Sasse, Axel Hütte, Elger Esser und weitere.
Die Bechers waren lange Zeiten in einem VW-Bus unterwegs, immer auf der Suche nach weiteren industriellen Konstrukten im Ruhrgebiet, in der Bundesrepublik, in Europa oder den USA. Der Auslöser schwieg nur dann, wenn es das Wetter nicht zuließ. Ihre Negative wechselten beide dort, wo sie auch kochten und schliefen - im Bus.
Weltweit bekannt wurden die Bechers durch die Teilnahme an der documenta 5 1972 und ihre Serie von Industriebauten in Schwarz-Weiß, die prägend für ihre zukünftigen Fotos werden sollten und so eine neue Wahrnehmungsästhetik schufen. Die US-amerikanische Galeristin Ileana Sonnabend entdeckte die Becher-Werke und richtete in ihrer New Yorker Galerie 1973 eine erste Ausstellung ein. Im selben Jahr stellte man die Bechers in Paris vor. Über Jahrzehnte folgten zahlreiche renommierte Ausstellungen in aller Welt. Die Bechers erhielten Bekanntheit und Anerkennung weit über die Fotografie hinaus, ihr Werk und Schaffen wurde als Serienkonzept im Sinne der Neuen Sachlichkeit und aus Sicht der bildenden Kunst als Konzeptkunst zugeordnet. Beide veröffentlichten diverse Bildbände, die heute als "Fachbücher" und Inspiration für andere Künstler gelten.
Hilla Becher verfolgte mit ihrem Mann stets das Ziel, Industriebauten zu dokumentieren, die nicht nur typisch für ihren Entstehungszeitraum galten, sondern auch vielfach vom Abbruch betroffen waren. Beide schufen eine einmalige vielfältige fotografische Sammlung von Industriebauten und ähnlichen Konstrukten, wie sie seinesgleichen sucht. Sie prägten für die industrielle Architektur den Begriff der „nomadischen Architektur“ und verstanden sich als Archäologen der Industriearchitektur. Das Fotografenehepaar setzte sich auch gegen den Abriss der Zeche Zollern II in Dortmund ein, lange bevor Bauwerke wie dieses, die dem Untergang geweiht waren, als Denkmäler der Industriekultur eingestuft und erhalten wurden und es diesen Ausdruck gab.
Nun ist Hilla Becher gestorben und mit ihr geht eine große, kluge und gleichwohl charmante Künstlerin. Eine Künstlerin, die sich als akzeptierte "Beraterin vom Chef" sah - so betitelte sie auf Nachfrage oft die fotografische Arbeitsbeziehung zwischen ihrem Mann und sich selbst. Als der Mann starb, war es an ihr, das verwitwete Werk zu vollenden, doch dieses ehrgeizige Ziel konnte und wollte sie nicht erfüllen. Alles zu fotografieren, wie es der Anspruch ihres Mannes war - hatte Hilla Becher zwar akzeptiert, daran gearbeitet hat sie jedoch nicht. Sie packte lieber die Kamera ein und fuhr los, anstatt das Archiv auf Vordermann zu bringen, oder sich auf Ausstellungen feiern zu lassen. Was nun bleibt, ist ein monumentales Lebenswerk, mit dem auch zukünftige Generationen weltweit konfrontiert werden. Und das ist auch gut so! (aw)