In Litauen, 12 Kilometer nördlich von Šiauliai, einen kurzen Fußmarsch östlich der Fernstraße A12, die von Šiauliai über Joniškis nach Riga führt, findet man einen besonders skurrilen Wallfahrtsort - den Berg der Kreuze. Eigentlich ist der Berg nur ein Hügel, denn er ist nur zehn Meter hoch, doch im deutschen Sprachgebrauch hat sich der Begriff "Berg" durchgesetzt. Dieser ist nicht nur ein architektonisches und historisches Denkmal und eine der beanntesten Sehenswürdigkeiten im Land, sondern weit darüber hinaus. Eine schmale Treppe aus Holzbohlen führt über den sattelförmigen Doppelhügel, der mit Zehntausenden Kreuzen geziert ist.
Pilger platzieren diese dort bei ihren Wallfahrten, erste Kreuze wurden 1830 aufgestellt. Heute wird der Berg besonders zu Hochzeiten, Geburten oder an Ostern besucht. Der Hügel gilt als mittelalterlicher Burghügel, wobei die Burg den Namen Jurgaičiai getragen haben und 1348 von Kreuzrittern zerstört worden sein soll. Bereits zu dieser Zeit war der zumindest zum Teil künstlich angelegte Hügel vermutlich eine Gebets- und Opferstätte.
Während der sowjetischen Besatzung und nach der Dritten Polnischen Teilung wurde durch den Befehl der Machthaber die Entfernung der Kreuze befohlen. Jedes Jahr wurden so hunderte hölzerne Kreuze verbrannt, eiserne verschrottet und steinerne zerschlagen oder im Bach versenkt. Nach jeder dieser Aktionen standen bereits am Folgetag neue Kreuze am Berg - dieser wurde zum Symbol des nationalen Widerstands. 1988 ging der Berg wieder in das Eigentum Litauens über.
1993 errichtete man am Berg einen Altarpavillon, in dem Papst Johannes Paul II. bei seinem Besuch am 7. September unter freiem Himmel vor etwa 100.000 Gläubigen eine Messe zelebrierte. Im Rahmen des Festaktes betraute Johannes Paul II. den Franziskaner-Orden mit der Betreuung des Wallfahrtsortes und dem Bau eines Klosters nach den Plänen des italienischen Architekten Nunzio Rimmaudo, dessen Grundsteinlegung Ende der 1990er Jahre erfolgte. Das Kloster dient als Noviziatshaus für angehende Mönche sowie als Ort des Gebetes und der Kontemplation und wurde im Juli 2000 nach zweijähriger Bauzeit eingeweiht. In der Kapelle im Erdgeschoss sorgen große Glasfenster für einen besonderen Blick auf den Berg der Kreuze.
Um den Berg der Kreuze und seine Entstehung gibt es verschiedene Legenden, die erzählt werden. Zum einen existiert da die Geschichte eines Vaters, der am Lager seiner kranken Tocher einschlief. In seinem Traum erschien ihm eine weißgekleidete Frau, die ihm aufgab, ein Kreuz auf dem Hügel aufzustellen. Der Mann platzierte besagtes und sah bei der Rückkehr seine Tochter genesen. Eine weitere Legende erzählt von einem Fürsten aus Vilnius. Dieser soll vor 300 Jahren gegen einen anderen Fürsten prozessiert haben und sei an dem Berg vorbei zum Gericht nach Riga gereist. Seinen Bediensteten gegenüber habe er dabei gesagt, dass wenn er den Prozess gewinnen würde, er auf dem Berg ein Kreuz aufstellen wolle. Nachdem der Fürst den Prozess gewonnen hatte, befahl er auf dem Rückweg, auf dem Berg das Kreuz zu errichten. Bald habe sich der Ruf vom Gelübde des Fürsten im ganzen Lande verbreitet. (aw)