Auf der zweitgrößten deutschen Ostsee-Insel Usedom befindet sich die Gemeinde Peenemünde. Im Zweiten Weltkrieg erlangte die Sonneninsel, aber besonders Peenemünde, durch die Produktion von Großraketen und anderen Fernwaffen unrühmliche Bekanntheit. Hier, wo unter massivem Einsatz von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen Massenvernichtungswaffen produziert wurden, wird die Verknüpfung von technischem Fortschritt, kriegerischer Gewalt und der Vernichtungspolitik des Nationalsozialismus auch mehr als 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges noch zugänglich und erfahrbar. 1936 erwarb die Wehrmacht den gesamten Insel-Norden von Karlshagen bis zum Peenemünder Haken von der Stadt Wolgast und von Privatpersonen. Die Bevölkerung musste den Ort verlassen, nur fünf Einwohner wurden als Zivilbeschäftigte der dort stationierten Heeresversuchsanstalt (HVA) Peenemünde beschäftigt.
Nachdem im brandenburgischen Kummersdorf lediglich Brennversuche mit Raketenöfen stattfanden, jedoch keine Raketen an sich getestet werden konnten, suchte man nach einem entsprechenden Areal. 1935 wurde man in Peenemünde fündig. Im Sommer 1936 begannen die Arbeiten an den Anlagen im Stil üblicher Luftwaffenstützpunkte und Fliegerhorste. Geschaffen wurde ein autarkes Sperrgebiet in völliger Abgeschiedenheit. Dieses entwickelte sich zu einem der größten geheimen Militärprojekte zur Zeit der NS-Diktatur. 70 Häuser wurden für die HVA „Werk Ost“ abgerissen, das alte Peenemünde wurde vollständig dem Erdboden gleichgemacht.
Zu einem der wichtigsten Konstruktionen auf dem Areal entwickelte sich der für die Großrakete Aggregat 4 (A4, später in der NS-Propaganda „Vergeltungswaffe V2“ genannt) geschaffene Prüfstand VII. Von Peenemünde aus erfolgten nur Versuchsstarts, da sowohl der Flugkörper Fieseler Fi 103 „V1“ als auch die ballistische Rakete A4 eine zu geringe Reichweite aufwiesen, um von Peenemünde aus geeignete feindliche Ziele erreichen zu können. 1938 wurde das Areal um die Anlagen Peenemünde-West („Werk West“, später Versuchsstelle der Luftwaffe Karlshagen) ergänzt.
Montiert wurden die A4-Raketen - von Hitler bis zur Niederlage als "Wunderwaffe" angepriesen - von KZ-Zwangsarbeitern, die unter schlimmsten Umständen im Keller der Fertigungshalle 1 eingepfercht waren. Wernher von Braun, technischer Direktor der Anstalt und Raketenpionier, bezeichnete den Keller als Häftlingslager F1. In Peenemünde existierte ab 1943 ein KZ-Außenlager, zwei weitere Lager befanden sich in Karlshagen und Trassenheide. Hier waren zu Spitzenzeiten mehr als 1.500 Zwangsarbeiter untergebracht, dazu kamen mehr als 3000 „Ostarbeiter“ aus Polen und der Sowjetunion sowie italienische Vertragsarbeiter und französische Zivilarbeiter. Die Arbeiter waren in Kommandos aufgeteilt und mussten bis zur völligen Erschöpfung in den verschiedenen Bereichen der Anlagen ihren Dienst tun. Bewacht wurden die Zwangsarbeiter durch SS-Wachmannschaften und Angehörige der Luftwaffe. Auf dem heutigen Neuen Friedhof in Greifswald erinnert eine Gedenktafel an die zahlreichen Todesopfer unter den Zwangsarbeitern.
Um Peenemünde zu sichern, wurden Küsten- und Flakbatterien an der Außenküste in Peenemünde, Karlshagen, Zempin, Ückeritz, Swinemünde sowie landseitig am Zerninsee, in Korswandt und Neuendorf sowie Flak in Ahlbeck, Garz/Neverow, Dargen, Prätenow, Katschow und Mellenthin errichtet. Um die Flugbahnen der Fernlenkbomben aufzeichnen zu können, wurden auf den beiden höchsten seeseitigen Erhebungen - dem Streckelsberg bei Koserow und dem Langen Berg bei Bansin - Beobachtungspunkte errichtet, an denen Spezialkameras mit 1000-mm-Objektiven die Flugbahnen aufgezeichneten und vermaßen.
1939 wurden die Briten auf die neue Angriffswaffe Hitlers aufmerksam und starteten nach einer ausführlichen Luftaufklärung unter dem Decknamen "Operation Hydra" die erste Bombardierung von Peenemünde "West" der HVA. Gleichzeitig fand die Bombardierung mit der Operation Whitebait statt, die tatsächlich auf Berlin zielte. Man wollte mit diesem Angriffschema die deutsche Luftwaffe täsuchen und das eigentliche Angriffsziel verschleiern.
Bei dem Bombardement, bei dem größtenteils das "Werk Süd" sowie die Gefangenlager getroffen wurden, wurden etwa sechs Mal so viele Zwangsarbeiter getötet als Wissenschaftler und andere Bedienstete. Wernher von Braun konnte sich in einen Bunker retten. Anders als die Briten glaubten - diese gingen von einer Totalzerstörung Peenemündes aus - wurde der Betrieb vor Ort nach wenigen Wochen wieder aufgenommen.
Weil man weitere Bombardierungen befürchtete, verlagerte man Kopien von Unterlagen und Blaupausen der Zeichnungen aus. Auch die Planungen, die Raketenproduktion der "V2" in den Untergrund zu verlegen, wurden beschleunigt. Angedacht war, diese in unterirdische Produktionsstätten wie die Rüstungsfabrik Mittelwerk GmbH in der Stollenanlage im Kohnstein (später Mittelbau-Dora) zu verlegen und die Versuchsstarts auch von anderen Orten wie in Blizna oder der Tucheler Heide durchzuführen. Hier produzierte Raketen wurden nach Peenemünde geliefert und auf ihre Funktion getestet. Danach erfolgte ein variierender Tarnanstrich und anschließende Auslieferung. Empfänger war die Wehrmacht und in geringem Maße die Waffen-SS. Fertigungsstätten befanden sich später in ganz Deutschland und Österreich verstreut. Für die Produktion der Raketen wurden ausschließlich und in immer größeren Zahlen Zwangsarbeiter eingesetzt.
Bis zum Kriegsende propagandierte das NS-Regime als Erwiderung der alliierten Luftangriffe auf deutsche Städte die Bombardierung Englands mit „Vergeltungswaffen“, um die Moral der deutschen Bevölkerung und den Kampfgeist der Soldaten aufrechtzuerhalten. Dem ahnungslosen Volk sollte so der Eindruck vermittelt werden, die Wende im Krieg doch noch herbeiführen zu können. Reichspropagandaleiter Joseph Goebbels verstand die bewusste Täuschung der Bevölkerung. Im Februar 1945 wurde der Startbetrieb der Raketen in Peenemünde eingestellt, kurze Zeit später begann die Räumung des Areals. Die Zwangsarbeiter wurden abtransportiert und in andere Lager verbracht. Im Mai 1945 besetzten sowjetische Truppen die HVA. Bestehende Anlagen und alle relevanten Bauteile und Pläne der Raketenproduktion sowie Tests wurden demontiert, konfisziert und in die Sowjetunion verbracht.
Bis 1952 diente Peenemünde als sowjetischer Marine- und Luftwaffenstützpunkt, dann wurde dieser an die NVA der DDR übergeben und unter anderem als Marinestützpunkt der 1. Flottille der NVA genutzt. Das Sperrgebiet wurde bis 1990 aufrechterhalten, da die NVA hier einen wichtigen Militärflugplatz betrieb. Noch 1961 erweiterte man diesen, um auch Düsentriebflugzeuge des „Jagdfliegergeschwaders 9“ der Luftstreitkräfte der NVA hier landen und starten lassen zu können.
Nach der Wende wurden alle Armeestandorte auf Usedom aufgelöst, dazu gehörte auch die Peene-Werft. 1993 erfolgte die Auflösung des Truppenstandortes. Das mächtige Sauerstoffwerk, in dem nach dem Linde-Verfahren der als Oxidator für die A4 benötigte Flüssigsauerstoff aus der Luft gewonnen wurde, ist bis heute als Ruine erhalten. Einzig das Kraftwerk Peenemünde, das Anfang der 1940er Jahre zur Energieversorgung der Heeresversuchsanstalt Peenemünde errichtet wurde, war bis 1990 in Betrieb. Heute ist in Teilen des Baudenkmals das Historisch-Technische Museum Peenemünde (HTM) untergebracht. Der Prüfstand VII, von dem nur noch die Umwallung und die Stahlbetonplatte vorhanden sind, ist nach wie vor nicht für die Öffentlichkeit zugänglich. Im einstigen Abgaskanal für statische Brennversuche befindet sich heute ein Teich.
Heute ist Peenemünde wieder eine Naturidylle. Vom Festland aus ist die Ostseeperle direkt durch einen Personen-Fährbetrieb von Kröslin und Freest zu erreichen, der Flugplatz ist Startpunkt für Inselrundflüge über Usedom. Nicht nur für Einheimische gilt dieses Fleckchen Erde als einmaliger Charakter an der gesamten Ostseeküste. Heute umfasst ein Großteil des einstigen HVA-Areals Wiesen- und Feuchtgebiete. Die Natur bekam viele Jahre die Chance, sich ihr Terrain zurückzuerobern. Zahlreiche Geschichtsdenkmale wurden errichtet, die gesamte Denkmallandschaft Karlshagen-Peenemünde ist ausgeschildert und mit Infotafeln versehen. Das HTM informiert in einer umfassenden Ausstellung über die Geschichte des Ortes und seiner Umgebung.