nachgefragt bei: Mario Wilpert

Mario Wilpert. Foto: privat

Mario Wilpert fotografiert verlassene Orte. Orte, die der Mensch aufgegeben und später nahezu vergessen hat. Der gelernte Verlagskaufmann und Manager zog vor einigen Jahren von Berlin nach Kleinmachnow. Obwohl sein Beruf ihn eine ganz andere Richtung führte, die Fotografie hat Wilpert nicht losgelassen. Und so ist er noch heute mit der Kamera auf der Suche nach verlassenen Orten, um die Schönheit des Verfalls und die verschiedenen Facetten unseres baulichen Erbes im Bild festzuhalten. Besonders begeistert ist der Manager von Orten, die zwar Jahrzehnte verlassen sind, aber an denen es noch so aussieht, als wäre der Betrieb gerade erst eingestellt worden. Wir haben nachgefragt ...

rottenplaces: Woher kommt die Leidenschaft für die Fotografie verlassener Orte?

Wilpert: Als ich das erste Mal mit einem anderen Fotografen das ehemalige „Anatomische Institut der Freien Uni Berlin“ inmitten eines Berliner Nobelviertels zum Fotografieren besuchte, begann meine Faszination für die Lost Places. Ich war überwältigt! Teilweise fährt man seit Jahren an verlassenen Gebäuden vorbei und fragt sich, wie es wohl innen aussieht. Dann beginnt man zu recherchieren und zu planen. Orte, seit Jahren den Verfall ausgesetzt, jeder Raum eine Überraschung, wer hier wann seine Spuren hinterlassen hat. Ich bezeichne diese Location gern als Abenteuerspielplatz für Erwachsene, wobei man natürlich immer sehr aufpassen sollte, da teilweise immer noch diverse Gefahren lauern.

rottenplaces: Was fasziniert Sie besonders an diesen Motiven?

Wilpert: Gebäude waren lange Zeit das Dauerhafteste, was Menschenhand erschaffen konnte. Und wenn man dann sieht, wie die Natur es schafft, sich in nur 10 Jahren einzelne Räume, dann ganze Gebäude zurückzuerobern, ist das für mich wunderschön. Da wächst mitten im Raum ein Baum heran, durch das kaputte Dach sieht man den Himmel und Moos bedeckt die alten Möbel. Wenn man dann inmitten dieser zerstörten Räume durch die Fenster die grüne Natur sehen kann, ist das ein wunderschöner Gegensatz.

rottenplaces: Sie sind größtenteils in der Region Berlin/Brandenburg mit der Kamera unterwegs. Gerade hier kann man den städtebaulichen Wandel seit der Wende besonders gut beobachten. Neben der Hauptstadt erleben kleine Städte wie Krampnitz, Jüterbog oder Wünsdorf und dessen Liegenschaften zukünftig einen wahren Abbruch- und anschließenden Bauboom. Was denken Sie als "Einheimischer" darüber?

Wilpert: Aktuell sind die meisten Locations nicht offiziell begehbar, nur in wenigen Ausnahmen werden Fototouren (z.B. Wünsdorf) angeboten. Während für die alten Kasernen in Jüterbog und Wünsdorf die Zukunft noch ungewiss ist, wird seit vielen Jahren in Krampnitz (bei Potsdam) überlegt, was man mit dieser annähernd hundert Jahre alten Liegenschaft anstellen kann. Aktuell wird über Führungen nachgedacht, dann Umbau der denkmalgeschützten Gebäude in Wohnungen. Eine Herausforderung besteht bei allen ehemaligen russischen Kasernen darin, dass diese größtenteils bodenverseucht sind und kostenintensiv saniert werden müssen. Lohnt sich das? Es gibt meiner Meinung nach noch keinen Ansatz, der alle Wünsche berücksichtigt. Aus jeder ehemaligen Kaserne ein Denkmal mit Infotafeln und Führungen machen? Das Interesse daran dürfte nur gering sein und die Kosten dafür nicht lohnen.

rottenplaces: Gibt es ein Objekt oder eine Liegenschaft, das/die Sie besonders anzieht oder interessiert?

Wilpert: Ein Motto lautet „Für Vergessenes gibt es selten Werbung“. Aber ein offenes Auge hilft, unscheinbare Orte abseits des Mainstreams im Blick zu behalten und dann einen Besuch zu planen. Natürlich waren der Katastrophenzug K9 und der Spreepark meine bisherigen Highlights, die ihren eigenen Reiz gegenüber anderen Lost Places ausstrahlen. In diversen Foren liest man oft über Locations, die einen sofort „anspringen“. Dann beginnt die Suche und Recherche. Für mich müssen Gebäude so richtig schön verfallen sein, damit ich mich dort „wohlfühle“. Daher war z.B. das ehemalige Olympische Dorf bei Berlin eine Enttäuschung, alle Räume waren besenrein, keine Scherben, keine abblätternden Tapeten, keine alte Relikte, die man zufällig findet (und natürlich vor Ort lässt)...

rottenplaces: Was glauben Sie, warum ist der Hype, gerade was verlassene Orte angeht, derzeit besonders hoch?

Wilpert: Wir leben in einer Welt, die sich immer schneller dreht. Alles muss auf dem neuesten Stand sein, jeder Modetrend muss mitgemacht werden, alle zwei Jahre ein neues Smartphone und Möbel werden nicht mehr ersetzt, wenn sie kaputt sind, sondern wenn sie nicht mehr dem Trend entsprechen. Trotzdem bleibt immer die Sehnsucht nach der „guten alten Zeit“ und an der Zerstörung. Warum interessieren sich so viele Leute dafür, wenn ein Haus gesprengt oder abgerissen wird? Jeder erlebt die Faszination, die von Ruinen ausgeht und ist neugierig, wie es wohl früher da ausgesehen hat. Oft kennen Besucher meiner Ausstellungen die Orte von früher bzw. haben in der Zeitung davon gelesen. Und sind dann ganz erstaunt, wie es jetzt dort aussieht. Verstärkt wird dieser Hype natürlich auch über die „sozialen Medien“, wo Personen über jeden Lost Place ausführlich berichten.

rottenplaces: Interessieren Sie nur die besonderen Motive an diesen Orten oder sind es auch die Geschichten hinter diesen verlassenen Mauern?

Wilpert: Eigentlich sollte man sich sowohl vorher als auch nach einem Shooting mit der jeweiligen Location beschäftigen, um sich besser zurechtzufinden und auch die Details besser zu verstehen. Wer hat hier wann gelebt, welchen Zweck hat dieses Gebäude / dieser Raum früher gehabt usw. Da hat es mir schon geholfen, dass ein ehemaliger Arbeitskollege von mir russisch gelernt hat und so alte Plakate und Wandsprüche von meinen Fotos übersetzen kann.

rottenplaces: Als ausführliches Werk haben Sie im Auftrag der Grün Berlin GmbH den ehemaligen Spreepark in Berlin fotografiert. Wie war Ihr Eindruck?

Wilpert: Ein langer Traum wurde endlich wahr! Fast zwei Jahre habe ich mit den jeweiligen Eigentümern verhandelt, bis ich eine Ausschreibung von Grün Berlin gewonnen habe und nun offiziell in den Park durfte. Die landeseigene GmbH hatte Anfang 2016 das Gelände gekauft und wollte nun den aktuellen Zustand des Parks mit „meinen Blick und meinen Stil“ dokumentiert bekommen. So durfte ich mich insgesamt drei Mal allein durch den gesamten ehemaligen Vergnügungspark bewegen, es war fantastisch. Ein verwunschener Freizeitpark, der seit über 10 Jahren im Dornröschenschlaf liegt, so etwas ist europaweit einzigartig. Dann dreht sich noch die ganze Zeit das Riesenrad im Wind und man hört das metallische Gekreische im gesamten Park.

rottenplaces: Was halten Sie von den Planungen, die hier realisiert werden sollen?

Wilpert: Seit der Übernahme wird in Dialogverfahren mit Anwohnern, Kulturschaffenden und Politikern über Ideen diskutiert, was mit dem Spreepark passieren soll. Von Beginn an war aber klar, dass kein neuer Vergnügungspark entstehen wird / kann. Aktueller Stand ist, dass der ehemalige Freizeitpark „durch das Zusammenspiel von Landschaft, Kunst, Szenografie und Architektur als neuer Natur-, Kunst- und Kulturpark sichtbar gemacht werden soll“. Und dass das Riesenrad wieder in Betrieb genommen werden soll. Da Grün Berlin in den vergangenen Jahren viele Grünflächen behutsam in neue und interessante Attraktionen umgewandelt hat, bin ich mir sicher, dass hier ein spannendes Konzept umgesetzt werden wird.

rottenplaces: Derzeit und noch bis zum 28. Juni 2018 kann man eine Auswahl Ihrer Fotografien im Neuen Rathaus in Teltow sehen. Was erwartet den interessierten Besucher?

Wilpert: Innen- und Außenansichten von neun „Lost Places“ in Berlin/Brandenburg: Spreepark in Berlin-Treptow, Heilstätten in Grabowsee (wo der aktuelle Kinofilm „Heilstätten“ gedreht wurde), Radarstation auf dem Teufelsberg (Berlin), Haus der Offiziere in Wünsdorf, der Katastrophenzug K9, die Beelitz Heilstätten, die Höhere Fliegertechnische Schule in Niedergörsdorf, die Heeres-Reitschule in Krampnitz und die Hakeburg in Kleinmachnow.

rottenplaces: Wie sehen die Zukunftspläne von Ihnen aus? Was ist geplant?

Wilpert: Natürlich gibt es noch persönliche Highlights, von denen ich träume. Vom Eisenbahnfriedhof Uyuni in Bolivien über Tschernobyl bis hin zum Buran-Raumgleiter in Baikonur. Konkret geplant sind Shootings von weiteren Lost Places in unserer Region, die ja immer noch sehr viel zu bieten hat. Zudem sind die nächsten Ausstellungen bereits in der Planung.

Wir danken Mario Wilpert für das Interview.
Das Interview führte André Winternitz

"Lost places - Fotographien von Mario Wilpert
02.03. - 28.06.2018
Neues Rathaus
Marktplatz 1-3, 14513 Teltow
www.mariowilpert.de