Der Kölner Fotograf Dieter Klein ist multi-kreativ. Zu seinem Portfolio gehören neben der redaktionellen Fotografie für diverse Medien - darunter beispielsweise das Diner´s Club Magazin, die Hannoversche Allgemeine Zeitung , das Juma - Jugendmagazin, der Kölner Stadtanzeiger und die Kölnische Rundschau, Prisma, Spiegel , Wirtschaftswoche und Die Zeit - auch die Architektur- und Landschaftsfotografie, Porträts, szenische Aufnahmen und Sachaufnahmen zu verschiedenen Darstellungsstilen. Einen Auszug seines künstlerischen Schaffens zeigt er auf seiner Webseite www.dieterklein.de. 2004 gründete Klein seinen eigenen Verlag - mit dem er bisher rund 30 Bücher aus den Bereichen Fotografie, Kunst und Psychologie und in Zusammenarbeit mit einer Agentur Bücher über Wirtschaftsstandorte veröffentlicht hat.
Nach zahlreichen Projekten und Ausstellungen produzierte er von 2011 bis 2013 den Bildband „Forest Punk“ - besuchte verlassene, verwilderte Autofriedhöfe und reiste für die Fotografien durch ganz Europa. 105 Bilder hat der Kölner für das Buch aus Tausenden ausgewählt. Sie sind sein Vermächtnis an den Geist unserer Zeit. „Forest Punk“ wurde mit dem Prädikat Deutscher Fotobuchpreis „Nominiert 2014“ ausgezeichnet.
rottenplaces: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, alte Autofriedhöfe zu recherchieren und deren Autowracks fotografisch zu dokumentieren, bzw. woher kommt die Faszination für selbige?
Klein: Auf einer Fahrradtour durch das französische Aquitaine sah ich auf einem verlassenen Bauernhof ein paar alte Pkw´s. Die waren bereits mit Flechten überzogen, Efeu wuchs durch die offenen Fenster. Dort fand ich einen Citroën „Rosalie Boulangère“, ein Kleinlastwagen aus dem Jahre 1937. Ein armdicker Ast war durch das Lenkrad gewachsen und der Holunderbusch überwuchs diesen Wagen. Die Szene hat mich derart gefesselt, dass ich zu Hause mit der Recherche begann. Ich suchte im Internet, befragte Kollegen und Freunde bis ich schließlich einen Anhaltpunkt für gezielte Recherche erhielt.
rottenplaces: Wie beschreiben Sie die Stimmung oder Atmosphäre an diesen Orten?
Klein: Die Zeugen der erst 100 Jahre alten Automobilgeschichte hatten für mich etwas vollkommen Unwirkliches – wie Filmszenen oder Traumbilder. Vertraut einerseits und völlig aus der bewußten Realität gelöst auf der anderen. Sind Autos doch Teil unseres Alltags, so unbekannt sind die Szenen der zurückgelassenen Fahrzeuge. Defekte Autos gelangen auf den Schrottplatz, werden gepresst, geschreddert, getrennt und wandern als Wertstoff zurück in der Wirtschaftskreislauf. Deshalb haben die Schrottplätze etwas Eigenartiges; vergessen, verlassen, sich selbst überlassen.
rottenplaces: Wenn Sie als Fotograf die Faszination des Wandelprozesses gerade bei historischen Fahrzeugen - die lange Jahre des natürlichen Verfalls über sich ergehen lassen mussten - vor Augen haben, welche Gedanken gingen Ihnen da durch den Kopf?
Klein: Anfangs haben mich die Autos an sich gar nicht so sehr interessiert. Vielmehr der Wandlungsprozess von Dingen – in diesem Fall von Autos, die uns so sehr vertraut sind. Nun, verlassen, defekt und der zehrenden Natur überlassen dachte ich daran, wie es sich wohl vor 40, 50 oder 80 Jahren gelebt hat. Was wurde in diesen Fahrzeugen erlebt: gelacht, geweint, gestritten oder in die Flitterwochen gefahren; was wurde transportiert, wo brachte das Fahrzeug seinen Fahrer überall hin? Wie war das Verhältnis zum Auto, was bedeutete Mobilität zu dieser Zeit? Wer konnte es sich leisten? Warum kümmert sich niemand darum? Gleichzeitig hat dieser morbide Charme etwas Beruhigendes und Friedliches.
rottenplaces: Viele Fotografen, die sich mit solchen oder ähnlichen Orten beschäftigen, sprechen von der Faszination der Ruhe, beschreiben ihren Aufenthalt als Zivilisationsflucht - sprich, sie sind weit und fernab unseres täglichen Alltagsstresses und der Schnelligkeit unserer Zeit, tauchen ein in eine geschichtshistorische Atmosphäre. Würden Sie dies so unterschreiben, oder wie formulieren?
Klein: Der dreifache Wandlungsprozess hat mich am meisten berührt. Erst wird das Fahrzeug vom Transportmittel zum Statussymbol aufgewertet, dann wandelt es sich vom Wert in den Unwert um schließlich sich selbst überlassen von der Natur zurückgenommen zu werden. Das schafft bizarre Formen, vielfältige Farben und Muster. Kunstwerke der Natur, die sich mir als harmonisch darstellt.
rottenplaces: Gab es eine Kulisse oder ein Motiv, die oder das Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?
Klein: Jeder Platz, den ich entdeckt und besucht habe, hatte eine ganz eigene Stimmung. Der erste große, den ich besuchen konnte lag im südlichen Belgien, in Chatillon. Als ich ihn nach einigem Suchen fand, eröffnete sich nach einigen hundert Metern in einem kleinen Wäldchen dieser verwunschene Blick auf ca. 250 Fahrzeuge. Sie standen still, nur Vogelgeschwitscher und ein zartes Windrauschen waren zu hören. Das hatte ich noch nicht gesehen. Diese Szenerie hatte mich vollkommen ergriffen und war nach dem französischen Einzelfund der Auftakt für weitere intensive Recherchen.
rottenplaces: Für Ihr Buch „Forest Punk“ sind Sie viel herumgekommen und waren an den unterschiedlichsten Orten in Europa unterwegs. Gibt es ein kurioses Erlebnis oder Vorkommnis auf diesen Reisen und wie reagierten Anwohner oder andere Menschen auf Ihre Arbeit vor Ort?
Klein: Besonders kurios ist ein privater Platz im Rheinland. Dort hat ein Autohändler zu seinem 50. Geburtstag im Jahr 2000 insgesamt 50 Fahrzeuge aus dem Jahr 1950 zusammengetragen und lässt diese in seinem waldähnlichen Garten verrotten. Dort finden sich alle großen Marken wieder: Mercedes, Jaguar, Rolls Royce usw. Die Oldtimerszene hat er damit aufgebracht, bei den Einen ist er zur „Persona non grata“ geworden, die anderen finden es originell. Es scheint nur gegensätzliche Meinungen zu geben. Bei Begegnungen gab es während meiner Arbeit nur positive Stimmungen. Die einen waren traurig, weil die „schönen“ Autos nicht gerettet wurden, andere ließen sich in diese morbide Stimmung fallen und durchstreiften die Plätze wie in einem Museum.
rottenplaces: Viele „Eigentümer“ solcher Orte oder Plätze möchten diese dort vorherrschende Szenerie als eine Art Zeitdokument erhalten. Oft machen die Behörden solchen Vorhaben ein jähes Ende und lassen selbige beräumen. Wie ist Ihre Meinung dazu?
Klein: Natürlich gehören Autos nicht in den Wald. Allerdings gefährden der überwiegende Teil „meiner“ Plätze die Umwelt nicht mehr. Man könnte sicherlich die Autos der Natur überlassen. Es ist dann eine Frage der Zeit, bis sich alles aufgelöst hat.
rottenplaces: Welches Equipment und welche Technik haben Sie für Ihre Arbeit an den Sets genutzt - bzw. welche war vorteilhaft?
Klein: Ich arbeite ausschließlich mit einer Mittelformat Hasselblad mit einem 80 Megapixel-Rückteil von Phase One. Drei Objektive: Weitwinkel, Mittelbereich-Zoom und ein Teleobjektiv setze ich ein. Dazu Laptop und die Kiste mit der „schwarzen“ Technik: Ladegeräte, Kabel, Akkus, Festplatten, Taschenlampe… Dazu immer das Stativ, denn häufig habe ich Belichtungszeiten von bis zu 10 Sekunden. So kommt das Equipment vor Ort locker auf 20 Kilo - das hält fit (lacht). Ich bearbeite hinterher meine Bilder nur mit Farb- und Kontrastkorrekturen. Ich mache keinerlei Retouchen. Die Bilder zeigen alles, was ich durch den Sucher erlebt habe. Das ist mir sehr wichtig, denn Photoshop-Montagen lehne ich bei meiner künstlerischen Arbeit an diesem Thema ab.
rottenplaces: Wie ist die Resonanz auf den Bildband im Allgemeinen?
Klein: Ich habe ausschließlich positive Resonanz erhalten. Eine Auswahl habe ich auf der www.forest-punk.de unter Leserstimmen veröffentlicht. Ich sehe meine Bilder als Fotografie, nicht als Autosammlung.
rottenplaces: Derzeit sind Sie unterwegs für Ihr zweites Buch - also die „Forest Punk“-Fortsetzung. Welche Orte erwarten den Betrachter im neuen Werk?
Klein: Bis zum 4. Juli reise ich durch die USA. Ich habe viele Fahrzeuge und Plätze gefunden. Die Reise führt mich durch Oklahoma, Texas, New Mexico, Arizona, Nevada, Utah und Kansas. Weitere Plätze in Frankreich, Öterreich, Südafrica und Namibia stehen auf meiner Wunschliste.
Wir danken Dieter Klein für das Interview.
Das Interview führte André Winternitz
Forest Punk
160 Seiten, incl. Panorama-Ausklapper
Format 28 x 38 cm
Texte: deutsch/ englisch
ISBN 978-3-937907-44-4
Preis: Euro 58,oo
Bestellung: www.forest-punk.de