Hattingen (lwl/aw). Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) zeigt seit Freitag (12.05.) in seinem Industriemuseum Henrichshütte die Ausstellung "Ende der Schonzeit". Im historischen Gebläsehaus sind rund 50 Fotografien des Hamburger Fotografen Horst Dieter Zinn zu sehen. Die Arbeiten entstanden während zweier Projekte 1987 und 2017. Ihr Gegenstand ist ein Ort, der in 30 Jahren Strukturwandel ganz anders wurde: Hattingen.
Der gebürtige Bochumer war 1987 ins Ruhrgebiet zurückgekehrt, um während des Hattinger "Hüttenkampfes" eine Fotoreportage zu erstellen, die unter dem Titel "Eine Heimat geht bankrott" in der Zeitschrift "Geo" erschien. Sein hanseatischer Blick auf das Revier zeigte augenzwinkernd das Klischee der Region. Dieser Blick erscheint aus heutiger Sicht wie aus der Zeit gefallen und zeigt viel Empathie für die Leidtragenden des montanindustriellen Niedergangs. 30 Jahre später war Zinn erneut unterwegs in Hattingen mit einem anderen Blick auf die Stadt und ihre Menschen. Alles ist schneller, urban statt montan.
Für Zinn hat das Fotoprojekt zur Klärung seines Heimat-Begriffes beigetragen. "Ich habe erfahren, dass Heimat mehr ist als ein Ort der Erinnerung", erklärte der Wahl-Hamburger am Dienstag (9.5.) bei der Vorstellung der Ausstellung in Hattingen. "Ich finde sie in der Gemeinschaft der Menschen, bei denen ich zu Hause bin." Entsprechend führt sein Blick vom Montanen zum Urbanen, im Fokus immer die Menschen. "Zwei Zeitschnitte, in denen die Stadt dem Fotografen Modell steht", so Dirk Zache, Direktor des LWL-Industriemuseums. "Der subjektive Blick durchs Objektiv regt uns alle an, uns selbst ein Bild von unserer Heimat und ihrer Veränderung zu machen - und er sollte uns anregen, uns als Teil der Veränderung zu verstehen."
Das Revier und sein Bild
1958 veröffentlichten die Kölner Carl-Heinz Hargesheimer (gen. Chargesheimer) und Heinrich Böll den Band "Im Ruhrgebiet" und ernteten dafür wütende Proteste. Die Skandalisierung des Buches hat eher dazu beigetragen, dass das dort vermittelte Bild sich zum Klischee vom Pott verdichtete. Dann begann der montanindustrielle Niedergang. Zinns Arbeiten von 1987 standen für Hattingen am Endpunkt dieser Entwicklung und bedienten ein letztes Mal jene "Chargesheimer"-Tradition. LWL-Museumsleiter Robert Laube: "Typen und Typisches in ihrer regionalen Prägung werden gefeiert und der Blick mit Empathie auf das Biotop Revier und seine immer seltener anzutreffenden Bewohner vom Typ Malocher gelenkt."
Die Arbeiten des Jahres 2017 sind eher von kühler, postmontaner Urbanität geprägt. Nur selten blitzt weltläufiges Niveau auf. Damit stellt sich erneut ein Fotograf gegen die Behauptung eines Selbstbildes, das diesmal mit der Formulierung "Metropole Ruhr" auf den Begriff gebracht werden kann. Zinn hinterfragt durchaus empathisch und mit Sympathie für Menschen und Region den Hochglanz des erfolgreichen Strukturwandels. "Wir sehen eine Stadt, wie wir sie vielerorts in der Republik finden könnten. Keine unberührte Schönheit, aber eben auch keine dem Untergang geweihte Region", so Laube. Hattingen habe zwar die Hütte in seiner DNA, sei aber auch auf der anderen Seite des Strukturwandels angekommen und wolle nicht mehr getröstet werden. Laube: "Die Trauerarbeit ist geleistet. Hattingen ohne Hütte, geboren 1987, ist erwachsen geworden. Ende der Schonzeit."
Ausstellung und Katalog
Gezeigt werden die Fotografien im Gebläsehaus, wo die Spuren von 100 Jahren Arbeit bis heute deutlich zu sehen sind. Gülay Özverim und Frank Schäckermann haben Katalog und Ausstellung gestaltet: "Wir wollten die Bilder nicht einfach in das Gebäude hineinstellen, sondern mit den Möglichkeiten und Herausforderungen dieses grandiosen Raums arbeiten." Insgesamt werden etwa 50 Arbeiten in der Ausstellung gezeigt, im Katalog finden sich über 90 Fotografien wieder.
Katalog zur Ausstellung
Ende der Schonzeit. Horst Dieter Zinn in Hattingen 1987 und 2017. 176 Seiten, zahlreichen farbigen Abbildungen, Hardcover, 19,95 Euro, ISBN: 978-3-8375-1845-0.
LWL-Industriemuseum Henrichshütte Hattingen
Werksstr. 31-33, 45527 Hattingen